Nahost

»Vergiss niemals, dass im Holocaust nicht nur sechs Millionen Juden starben, sondern auch sechs Millionen weitere Menschen. ›Niemals wieder‹ heißt es nicht nur für Juden. ›Niemals wieder‹ heißt es für die gesamte Menschheit.«

Auszüge aus einem Interview der Jungen Welt, Ausgabe vom 16./ 17. März 2024, Beilage Faulheit und Arbeit, mit Andrew Feinstein

Andrew Feinstein wurde 1964 in Südafrika geboren und wuchs in einem jüdischen Elternhaus auf. Er war Antiapartheidaktivist, Berater von Nelson Mandela und Desmond Tutu sowie Parlamentsabgeordneter des Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Im Jahr 2000 zog er nach London und plant aktuell, bei den britischen Unterhauswahlen als unabhängiger Linker anzutreten. Auf deutsch erschien von ihm 2012 »Waffenhandel: Das globale Geschäft mit dem Tod« bei Hoffmann und Campe.

Interview Junge Welt mit Andrew Feinstein


aus dem Bremer Friedensforum:

Südafrika reicht vor dem internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel ein

Nach drei Monaten Krieg und mehr als 22.000 Toten im Gazastreifen muss sich Israel vor dem
Internationalen Gerichtshof mit Sitz in Den Haag für den Militäreinsatz verantworten. Der Vorwurf
lautet auf Völkermord. Südafrika hat sich in seiner Klage vom 29. Dezember auf die
Völkermordkonvention berufen. Israel und Südafrika haben diese Konvention unterzeichnet. Die UN-
Richter sollen im Eilverfahren ein Ende der Gewalt gegen Palästinenser anordnen, um deren Rechte
zu schützen.
Der 84-seitige Antrag Südafrikas dokumentiert und belegt auf eindrucksvolle Weise, warum es sich
bei den Handlungen Israels nicht nur um Kriegsverbrechen, sondern um Völkermord handelt. Er ist
umfassend und gut geschrieben, ausgezeichnet recherchiert und alle Behauptungen werden durch
eine Fülle von Beweisen und eine stringente, lückenlose und stichhaltige Argumentation
untermauert. Jede Aussage ist (teilweise mehrfach) belegt (in der Übersetzung durch Ziffern in
eckigen Klammern gekennzeichnet und im Anhang aufgelistet). Alle Quellen sind transparent und
öffentlich zugänglich.
Wir stellen hier eine deutsche Übersetzung dieses beachtlichen Dokumentes zur Verfügung und
möchten jede und jeden eindringlich bitten und dazu auffordern, den Text zu lesen und zu helfen,
die darin beschriebenen Erkenntnisse zu verbreiten und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu
machen, um so dazu beizutragen, dass der Völkermord in Gaza so schnell wie möglich beendet wird.

Suedafrika-vs-Israel-ANTRAG-AUF-EINLEITUNG-DES-VERFAHRENS-VOR-DEM-ICJ

Die Originalfassung ist hier abrufbar:

https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf


 

Noam Chomsky über die Wurzeln des Israel-Palästina-Konflikts

Dies ist ein Vortrag, den der weltbekannte Intellektuelle und Linguist Prof. Noam Chomsky am 14. Oktober 2014 im Saal der Generalversammlung am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York über die Aussichten auf eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gehalten hat. Die Veranstaltung wurde vom Ausschuss für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes organisiert.
https://youtu.be/1f1wXGKd9Ss?si=NL9F4jeru28BQ5-w

Landesflüchtlingsräte aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen fordern von Bund und Ländern die Evakuierung verletzter Kriegsopfer aus dem Gaza-Streifen.

Die geschundene Zivilbevölkerung des Gaza braucht dringend Hilfe. Neben Hilfslieferungen ist insbesondere die umgehende Aufnahme und medizinische Versorgung von kranken und verletzten Schutzbedürftigen aus dem Gazastreifen dringend erforderlich. Die Flüchtlingsräte aus SH und Niedersachsen fordern die Bundesregierung dazu auf, Verantwortung zu übernehmen und ein Evakuierungsprogramm für verletzte Kinder, Frauen und Männer aus dem Gaza Streifen aufzulegen.

Das Ausmaß der getöteten und verwundeten zivilen Opfer – darunter 70% Frauen und Kinder – ist schon jetzt fünfstellig und wächst von Nacht zu Nacht, denn es gibt in dem extrem dicht besiedelten Gaza Streifen keine Rückzugsräume. Zwischen 38.000 und 45.000 Gebäude wurden im Gazastreifen zerstört. Laut WHO sind die meisten der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen zerstört worden, die übrigen arbeiten nur noch im Notbetrieb. Die Zahl schwer von Gewalt traumatisierter Kinder und Erwachsenen im Gaza Streifen ist immens aber ungezählt. Etwa drei Viertel der 1,1 Millionen Einwohner:innen des Nordens sind dem Aufruf der israelischen Armee gefolgt und in den Süden geflohen, rund 300.000 Menschen harren unter unsäglichen Bedingungen weiter im Norden aus.

Die Abriegelung des umkämpften Gebiets führt zu akuter Versorgungs- und Überlebensnot. Die meisten der aus dem Norden in den Süden geflohenen Menschen befinden sich nun in ebenfalls gefährdeten UN-Unterkünften, Spitälern oder anderen öffentlichen Gebäuden, doch Platz gibt es kaum. Auch Brot ist knapp. Die wenigen Hilfstransporte, die über die Grenze gelassen werden, sind laut Rotem Halbmond in keiner Weise ausreichend. UNO, WHO, ICRK und internationale Hilfsorganisationen warnen vor dem nahen vollständigen Zusammenbruch der medizinischen und Lebensmittelversorgung. Aufgrund akuter Hygieneprobleme und Wassermangel bzw. Wasserverschmutzung drohen Seuchen; tausende Fälle von Durchfall aufgrund von schlechten hygienischen Bedingungen wurden bereits registriert.

Wir begrüßen, dass derzeit eine wachsende Zahl von israelischen Staatsbürger*innen, die dem sich möglicherweise in Israel noch ausweitenden Konflikt entkommen wollen, in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme und Schutz finden. Deutschland ist aber mit Blick auf die Verlängerung seiner Geschichte im Nahen Osten in besonderer Verantwortung, gegenüber allen unschuldigen Opfern des Konflikts mit konkreter Hilfe aktiv zu werden.

Wir fordern die Bundesregierung daher auf, mit den Ländern die Aufnahme für zivile Binnenflüchtlinge und insbesondere Verwundete des Krieges im Gaza-Streifen abzustimmen und seine Umsetzung mit den Regierungen Israels und Ägyptens zu verhandeln.


Kai Weber
Geschäftsführer
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Röpkestr. 12, 30173 Hannover

Foto aus dem Jahr 2010,
aufgenommen bei einer Straßenaktion des Arbeitskreis Asyl Cuxhaven
in der Nordersteinstraße (Haupteinkaufsstraße) Cuxhaven


Gaza Dossier: Vertreibung und Containment

Dossier heißt: keine ausgiebigen Interpretationen, es geht nicht um „Meinung“, sondern um eine Basis für eine „qualifizierte Solidarität“ mit den Menschen in Gaza und in Israel. Ähnlich unserem Monthly Review haben wir hier Presseartikel und verlässliche Links zu Statistiken und Informationen gesammelt.

https://migration-control.info/de/blog/gaza-dossier-vertreibung-und-containment/


Der Künstler Mohammed Al-Hawajri schreibt der „Jüdischen Stimme“ aus Gaza.

Vielen Dank, meine lieben Freunde. Ich bin noch am Leben, allerdings wirklich leblos hier in extremer Angst und Schrecken.

Wie jeder weiß, ist Gaza seit Beginn dieses Krieges ohne Wasser, Strom, Medikamente, Lebensmittel oder irgendetwas anderes. Die Menschen hier sterben langsam. Es gibt sehr, sehr heftige Bombardierungen von überall, vom Land, vom Meer und vom Himmel. Es hört keinen Moment auf.

Alle haben Angst, Kinder, ältere Frauen, sogar Tiere. Es gibt keine Gnade. Nur Töten. Jede Minute kommt der Tod und Menschen werden in Stücke gerissen.

Wir können uns nicht von den Toten verabschieden oder sie zum Abschied küssen, weil der Anblick so hässlich ist. Wir können sie nicht erkennen. Unsere geliebten Verstorbenen wurden zu kleinen, entstellten Stücken.

In Gaza ist die Wahrheit immer größer als das, was von den Medien oder sozialen Medien dargestellt wird.

Es gibt dutzende Massaker und Tonnen von Sprengstoff landen auf Gaza. Hier gibt es keinen sicheren Ort. Ganz Gaza ist zerstört und vernichtet.

Ich schreibe diesen Brief, während ich mit meinen Kindern und meiner Familie in einem Raum bin. Wir alle haben keine Hoffnung, diesem schrecklichen Krieg zu entkommen. Wir verbringen den Abend damit, nicht zu wissen, ob der Morgen kommen wird. Die Nacht ist sehr schrecklich, sie brennt vor Feuer und sie wird übertönt von den Geräuschen von Explosionen, die die Häuser erschüttern. Ich habe keine Erfahrung damit, in Erdbebengebieten zu leben, aber was wir jetzt spüren spiegelt meine Vorstellungen wider… Gaza steht vor einem verheerenden Erdbeben aufgrund der Intensität der Explosionen, die Städte, Stadtteile, Dörfer, Lager und Häuser zerstören. Alles in Gaza ist ein Ziel. Es gibt keinen Sinn für das Leben oder ein Leben in solchem ​​Terror und Hass.

Hier ist Gaza.


https://globalbridge.ch/author/chrishedges/

Brief an die Kinder in Gaza

Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht. Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Weiterlesen


Israel wird durch die Verbrechen der Hamas nicht seiner eigenen völkerrechtlichen Verantwortung entbunden. Der Krieg muss enden.

medico international arbeitet seit Jahrzehnten mit Partnerorganisationen in Israel und Palästina. Wir haben in dieser langen Zeit unserer Zusammenarbeit, die meist mit politischen Minderheiten im jeweiligen Kontext stattfand, vieles versucht. Vieles ist gescheitert oder halb geglückt. Wir standen dabei immer auf der Seite der Unterdrückten und gleichzeitig auf der Seite der Idee von Verständigung und der Suche nach einer nicht-nationalistischen Perspektive.

Hier gehts weiter:

https://www.medico.de/den-horror-in-gaza-beenden-19283


Resignation Letter of Craig Mokhiber, Director of the UN’s New York office

 

Lieber Herr UN-Hochkommissar,

dies ist meine letzte offizielle Mitteilung als Direktor des New Yorker Büros des UN-Menschenrechtskommissars an Sie.

Ich schreibe dies in einem Augenblick großer Pein für die Welt, darunter auch für viele unserer Kollegen. Wieder einmal sehen wir, wie sich vor unseren Augen ein Völkermord vollzieht, und die Organisation, der wir dienen, scheint machtlos, ihn aufzuhalten. Für mich als jemand, der sich seit den 1980er Jahren intensiv mit den Menschenrechten in Palästina befasst hat, der in den 1990er Jahren als Menschenrechtsberater in Gaza gelebt hat und der davor und danach mehrmals im Dienste der Menschenrechte in diesem Land war, hat das eine tiefe persönliche Bedeutung.

Ich habe in diesen Räumen der Vereinten Nationen auch während der Völkermorde an den Tutsi, an bosnischen Muslimen, an den Jesiden und an den Rohingya gearbeitet. In jedem dieser Fälle wurde es, nachdem sich der Staub auf die, gegen die wehrlose Zivilbevölkerung gerichteten, Schrecken gelegt hatte, schmerzlich deutlich, dass wir in unserer Pflicht versagt hatten – unserer Pflicht, massenhaft begangene Gräueltaten zu verhindern, die Schwachen zu schützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Genauso verhielt es sich mit den sukzessiven Wellen von Mord und Verfolgung von Palästinensern während der gesamten Zeit des Bestehens der Vereinten Nationen.

Herr Hochkommissar, wir versagen soeben erneut.

Als Menschenrechtsanwalt mit mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung auf diesem Gebiet ist mir geläufig, dass das Konzept des Genozids oft politisch missbraucht wurde. Doch das Blutbad, das aktuell an den Palästinensern verübt wird, welches in einer ethno-nationalistischen, kolonialen Siedlermentalität wurzelt und die Fortsetzung ihrer jahrzehntelangen systematischen Vertreibung und ethnischen Säuberung darstellt, die allein auf ihrem Status als Araber beruht und die mit expliziten Absichtserklärungen führender Mitglieder der israelischen Regierung und des israelischen Militärs einhergeht, lässt keinen Spielraum für Zweifel oder Diskussionen. In Gaza werden Wohnhäuser, Schulen, Kirchen, Moscheen und medizinische Einrichtungen mutwillig angegriffen und tausende Zivilisten massakriert. In der Westbank inklusive dem besetzten Jerusalem werden Häuser beschlagnahmt und neu zugewiesen, rein nach rassistischen Kriterien, und brutale Pogrome durch Siedler werden von israelischen Militäreinheiten begleitet. Im ganzen Land herrscht Apartheid.

Dies hier ist ein Paradebeispiel für Völkermord. Die letzte Phase des europäischen, ethno-nationalistischen Siedler-Kolonialprojekts in Palästina hat begonnen, es geht um die Auslöschung der verbliebenen Überreste ursprünglichen palästinensischen Lebens in Palästina. Dazu kommt, dass die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und eines Großteils von Europa an diesem abscheulichen Angriff mitwirken. Diese Regierungen halten nicht nur nicht ihre vertraglichen Verpflichtungen zur „Einhaltung“ der Genfer Konventionen ein. Sie steuern für den Angriff auch noch aktiv Waffen bei, stellen wirtschaftliche und geheimdienstliche Unterstützung bereit und gewähren politische und diplomatische Deckung für Israels Gräueltaten.

Im Einklang damit stehen die westlichen Konzernmedien, zunehmend vereinnahmt und staatsnah, im offenen Widerspruch zu Artikel 20 des UN-Zivilpakts, indem sie die Palästinenser fortwährend entmenschlichen und damit den Völkermord ermöglichen und Kriegspropaganda verbreiten sowie nationalen, rassistischen oder religiösen Hass verbreiten, welcher Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt befeuert. In den USA angesiedelte Social Media unterdrücken die Stimmen von Menschenrechts-Verteidigern und verstärken zugleich pro-israelische Propaganda. Internet-Trolle und GONGOS (Government-operated non-governmental organization) belästigen und verleumden Menschenrechts-Verteidiger, und westliche Universitäten und Arbeitgeber arbeiten mit ihnen zusammen, um jene zu strafen, die es wagen, sich gegen die Gräuel auszusprechen. Nach diesem Völkermord müssen auch diese Akteure zur Verantwortung gezogen werden, wie einst die Macher des hassverbreitenden Senders Radio-Télévision Libre des Mille Collines in Ruanda.

Unter diesen Umständen müssen wir als Organisation mehr denn je prinzipientreu und effektiv handeln. Doch wir haben diese Herausforderung nicht angenommen. Die Schutzmacht Sicherheitsrat wurde erneut durch die Unnachgiebigkeit der USA blockiert; der UN-Generalsekretär gerät wegen sanftester Kritik unter Beschuss, und unsere Menschenrechts-Mechanismen werden fortwährend auf rufschädigende Weise von einem organisierten virtuellen Netzwerk, das sich für Straflosigkeit einsetzt, angegriffen.

Jahrzehntelang haben die illusionären und großenteils unehrlichen Versprechungen von Oslo die Organisation von ihrer wichtigsten Pflicht abgehalten, das Völkerrecht, die internationalen Menschenrechte und die UN-Charta zu verteidigen. Das Mantra von der „Zweistaatenlösung“ ist auf den Korridoren der Vereinten Nationen zum offenen Witz geworden, und zwar sowohl wegen ihrer faktischen Nichtrealisierbarkeit als auch, weil sie für die unveräußerlichen Menschenrechte der Palästinenser überhaupt nicht einsteht. Das sogenannte Nahost-Quartett ist zum Feigenblatt für Nichtstun und für unterwürfiges Abfinden mit einem brutalen Status quo verkommen. Die Rücksicht auf „Vereinbarungen zwischen den betroffenen Parteien selbst“ – anstatt der Einhaltung des Völkerrechts – war immer ein durchsichtiger Trick, der zum Ziel hatte, die Macht Israels über die Rechte der besetzten und enteigneten Palästinenser zu stärken.

Herr Hochkommissar, ich bin dieser Organisation in den 1980er Jahren beigetreten, weil ich darin eine prinzipientreue, auf Normen beruhende Institution sah, die ohne Wenn und Aber auf der Seite der Menschenrechte stand, selbst in Fällen, in denen die mächtigen USA, Großbritannien und Europa nicht auf unserer Seite waren. Während meine eigene Regierung, ihre untergeordneten Institutionen und ein Großteil der US-Medien noch immer die Apartheid Südafrikas, die israelische Unterdrückung und zentralamerikanische Todesschwadronen unterstützten oder rechtfertigten, standen die Vereinten Nationen auf für die unterdrückten Völker dieser Länder. Wir hatten das Völkerrecht auf unserer Seite. Wir hatten die Menschenrechte auf unserer Seite. Wir hatten Grundsätze. Unsere Autorität wurzelte in unserer Integrität. Aber das ist vorbei.

In den vergangenen Jahrzehnten haben maßgebliche Teile der Vereinten Nationen vor der Macht der USA und aus Furcht vor der Israel-Lobby kapituliert, haben diese Grundsätze verraten und das Völkerrecht preisgegeben. Dies hatte einen hohen Preis, nicht zuletzt haben wir unsere globale Glaubwürdigkeit verloren. Doch das palästinensische Volk hatte die größten Verluste aufgrund unseres Scheiterns zu ertragen. Es ist von atemberaubender historischer Ironie, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im selben Jahr verabschiedet wurde, in dem die Nakba gegen das palästinensische Volk verübt wurde. Bei der 75-Jahr-Feier der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) täten wir gut daran, das alte Klischee fallenzulassen, dass die Verabschiedung der AEMR auf die Gräuel zurückgeht, die in den Jahren davor verübt worden waren, und zuzugeben, dass die AEMR parallel zu einem der schrecklichsten Genozide des 20. Jahrhunderts das Licht der Welt erblickten: der Zerstörung Palästinas. Gewissermaßen versprachen die Verfasser allen Menschen Menschenrechte, außer dem palästinensischen Volk. Und erinnern wir uns auch daran, dass die UNO-Organisation selbst die Ursünde in sich birgt, die Enteignung der Palästinenser mit ermöglicht zu haben. Sie haben das europäische koloniale Siedlerprojekt ratifiziert, das palästinensisches Land genommen und den Kolonialisten gegeben hat. Wir haben viel zu büßen.

Doch der Weg zur Sühne liegt klar vor uns. Wir können viel lernen von der Grundhaltung, die in den vergangenen Tagen in Städten weltweit zu sehen ist, in denen Menschen massenhaft gegen Völkermord aufstehen, selbst wenn ihnen Schläge und Festnahme drohen. Palästinenser und ihre Verbündeten, Menschenrechtsverfechter jeder Couleur, christliche und muslimische Organisationen und progressive jüdische Stimmen, die sagen: „Nicht in unserem Namen“, weisen uns den Weg. Wir müssen ihnen nur folgen.

Gestern, nur wenige Straßen weiter, haben tausende jüdische Menschenrechtsaktivisten die New Yorker Central Station besetzt. Sie stellten sich auf die Seite des palästinensischen Volkes und forderten ein Ende der israelischen Tyrannei, viele riskierten, festgenommen zu werden. Auf diese Weise haben sie die israelische Hasbara-Propaganda, einen alten antisemitischen Topos, enttarnt, dass Israel irgendwie das jüdische Volk repräsentiere. Das tut es nicht. Und deshalb ist allein Israel für seine Verbrechen verantwortlich. Man darf an dieser Stelle einmal wiederholen, auch wenn die Israel-Lobby das Gegenteil behauptet: Kritik an Israels Menschenrechtsverletzungen ist genauso wenig antisemitisch, wie die Kritik an saudischen Menschenrechtsverletzungen islamophob, die Kritik an Myanmars Menschenrechtsverletzungen anti-buddhistisch oder die Kritik an indischen Menschenrechtsverletzungen anti-Hindu sind. Wenn sie versuchen, uns mit Verleumdungen mundtot zu machen, müssen wir unsere Stimme erheben, nicht leiser werden. Ich vertraue darauf, dass Sie, Hochkommissar, zustimmen, dass genau das gemeint ist mit: den Mächtigen die Wahrheit sagen.

Doch ich finde auch Hoffnung in jenen Teilen der UN, die sich weigerten, die Menschenrechts-Prinzipien der Organisation infrage zu stellen, obwohl riesiger Druck auf sie ausgeübt wurde. Unsere unabhängigen Sonderberichterstatter, Untersuchungskommissionen und Experten der UN-Vertragsorgane stehen – Seite an Seite mit einem Großteil unserer Mitarbeiter – weiterhin für die Menschenrechte der Palästinenser auf, selbst wenn andere Teile der UN – sogar auf den höchsten Ebenen – schändlicherweise vor der Macht eingeknickt sind. Als Wächter der Menschenrechtsnormen und -standards hat das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) eine besondere Verpflichtung, diese Standards zu verteidigen. Ich halte es für unsere Aufgabe, unserer Stimme Gehör zu verschaffen – vom UN-Generalsekretär hinunter zum neu eingestellten UN-Mitarbeiter und quer durch das ganze UN-System – und darauf zu bestehen, dass die Menschenrechte des palästinensischen Volkes nicht zur Diskussion stehen, nicht verhandelbar sind und es darüber keinerlei Kompromisse unter der blauen Flagge gibt.

Wie also sähe eine auf UN-Normen basierende Position aus? Wofür würden wir uns einsetzen, nähmen wir unsere rhetorischen Verweise auf die Menschenrechte, die Gleichheit aller Menschen, die Haftung von Tätern, die Entschädigung von Opfern, den Schutz der Schwachen und die Ermächtigung von Rechteinhabern ernst, die alle der Herrschaft des Gesetzes unterworfen sind? Ich denke, die Antwort ist einfach – wenn wir hinter den Propagandanebel blicken, der die Vision der Gerechtigkeit verschleiert, der wir alle verpflichtet sind, sind es der Mut, die Furcht und Unterwürfigkeit vor mächtigen Staaten abzuschütteln, und der Wille, das Banner der Menschenrechte und des Friedens aufzunehmen. Das ist natürlich ein langfristiges Projekt und eine gehörige Kraftanstrengung. Doch wir müssen jetzt damit beginnen oder uns unaussprechlichem Horror ergeben. Ich sehe zehn wichtige Punkte.

  1. Legitimes Handeln: Erstens müssen wir in der UNO das gescheiterte und größtenteils unaufrichtige Oslo-Paradigma, seine illusorische Zweistaatenlösung, sein ohnmächtiges und mitschuldiges Nahost-Quartett und seine Unterwerfung des Völkerrechts unter das Diktat vermeintlicher Zweckmäßigkeit aufgeben. Unsere Positionen müssen kompromisslos auf den internationalen Menschenrechten und dem Völkerrecht basieren.
  2. Klarheit der Vision: Wir müssen mit dem Vorwand aufhören, dass es sich lediglich um einen Konflikt um Land oder Religion zwischen zwei Kriegsparteien handelt, und die Realität der Situation anerkennen, dass nämlich ein unverhältnismäßig mächtiger Staat eine indigene Bevölkerung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit kolonisiert, verfolgt und enteignet.
  3. Ein Staat auf der Grundlage der Menschenrechte: Wir müssen die Errichtung eines einzigen demokratischen, säkularen Staates im gesamten historischen Palästina mit gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden und damit den Abbau des zutiefst rassistischen Siedlerstaats und Kolonialprojekts unterstützen und der Apartheid im ganzen Land ein Ende setzen.
  4. Bekämpfung von Apartheid
    Wir müssen wieder alle Anstrengungen und Mittel der UNO auf den Kampf gegen Apartheid richten, so wie wir es in den 1970er, 1980er und den frühen 1990ern getan haben.
  5. Rückkehr und Entschädigung
    Wir müssen das Recht auf Rückkehr und volle Entschädigung für alle Palästinenser und ihre Familien, die derzeit in den besetzten Gebieten, im Libanon, Jordanien, Syrien und in der Diaspora auf der ganzen Welt leben, bekräftigen und darauf bestehen.
  6. Wahrheit und Gerechtigkeit
    Wir müssen einen Prozess der Übergangsjustiz fordern, die sich auf die jahrzehntelang gesammelten Untersuchungen, Ermittlungen und Berichte stützt, um die Wahrheit zu dokumentieren und die Rechenschaftspflicht aller Täter, die Wiedergutmachung für alle Opfer und die Entschädigung für dokumentierte Ungerechtigkeit sicherzustellen.
  7. Schutz
    Wir müssen auf den Einsatz einer gut ausgestatteten und mit einem starken, dauerhaften Mandat versehenen UN-Schutztruppe zum Schutz der Zivilbevölkerung zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer drängen.
  8. Abrüstung
    Wir müssen für die Beseitigung und Zerstörung von Israels riesigen Beständen an atomaren, chemischen und biologischen Waffen einstehen, damit der Konflikt nicht zur Auslöschung der Region und möglicherweise noch darüber hinaus führt.
  9. Vermittlung
    Wir müssen anerkennen, dass die USA und andere westliche Mächte keine glaubwürdigen Vermittler, sondern vielmehr selbst Konfliktparteien sind, die zusammen mit Israel eine Mitschuld an der Verletzung der Rechte der Palästinenser tragen, und wir müssen entsprechend mit ihnen umgehen.
  10. Solidarität
    Wir müssen unsere Türen und die Türen des UN-Generalsekretariats weit öffnen für die Scharen an palästinensischen, israelischen, jüdischen, muslimischen und christlichen Verteidigern der Menschenrechte, die sich solidarisch an die Seite des palästinensischen Volkes und ihrer Menschenrechte stellen. Und wir müssen den ungebremsten Strom an Israel-Lobbyisten zu den Türen leitender UNO-Mitarbeiter aufhalten, bei denen sie sich für eine Fortsetzung des Krieges, für Verfolgung, Apartheid und Straffreiheit einsetzen und unsere Menschenrechtsschützer wegen ihrer prinzipientreuen Verteidigung palästinensischer Rechte verleumden.

Dies zu erreichen, wird Jahre in Anspruch nehmen, und westliche Mächte werden uns auf jedem Schritt dieses Weges bekämpfen. Wir müssen also beharrlich sein. Kurzfristig müssen wir uns für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzen und die langjährige Belagerung von Gaza beenden. Wir müssen gegen die ethnische Säuberung von Gaza, Jerusalem und der Westbank und anderswo aufstehen, müssen den völkermörderischen Angriff in Gaza dokumentieren, müssen dabei mitwirken, den Palästinensern umfassende humanitäre Hilfe und Hilfe beim Wiederaufbau zukommen zu lassen. Wir müssen uns um unsere traumatisierten Kollegen und ihre Familien kümmern und müssen alles Menschenmögliche tun, um zu einer prinzipienfesten Haltung in den politischen UNO-Büros zu gelangen.

Das bisherige Versagen der UNO in Palästina ist kein Grund zum Rückzug für uns. Es sollte uns vielmehr den Mut geben, das gescheiterte Paradigma der Vergangenheit hinter uns zu lassen und einen prinzipienfesteren Kurs einzuschlagen. Lasst uns als Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) mutig und aufrecht der Anti-Apartheidsbewegung anschließen, die weltwelt wächst, und unser Logo auf das Banner der Gleichberechtigung des palästinensischen Volkes hinzufügen. Die Welt schaut zu. Wir alle werden dafür verantwortlich sein, wo wir in diesem entscheidenden Augenblick der Geschichte standen. Lasst uns auf der Seite der Gerechtigkeit stehen.

Ich danke Ihnen dafür, Herr Hochkommissar, Volker, diesen meinen letzten Aufruf von meinem Schreibtisch angehört zu haben. Ich verlasse das Büro in wenigen Tagen zum letzten Mal, nach über drei Jahrzehnten im Dienst. Doch zögern Sie bitte nicht, sich bei mir zu melden, wenn ich künftig von Nutzen sein kann.

Hochachtungsvoll,
Craig Mokhiber


Deutschland geht mit der Unterstützung von Kriegsverbrechen ein rechtliches Risiko ein.

Von Shir Hever
Ein Artikel von Shir Hever

https://www.nachdenkseiten.de/?p=105280

Vorbemerkung: Das Folgende ist selbstverständlich die Sicht des Autors. – Der Text enthält eine große Zahl von Links auf andere Dokumente und Informationen. Es lohnt sich, diese anzuschauen. – Zur Person von Dr. Shir Hever: Geboren 1978 in Israel, er promovierte nach seinem Studium in Tel-Aviv an der FU Berlin in Politikwissenschaft über die Privatisierung der israelischen Sicherheit. Er forscht zur Ökonomie der israelischen Besatzung und zum Kolonialismus. Shir Hever ist Mitglied der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

 

Text von Shir Hever:

In den letzten Tagen seit dem Ausbruch der Gewalt in Palästina/Israel haben deutsche Politikerinnen und Politiker einseitige Unterstützungserklärungen für Israel abgegeben und dabei die international anerkannten Rechte des palästinensischen Volkes ignoriert. Sie haben es immer wieder versäumt, Kriegsverbrechen der auf Rache sinnenden israelischen Besatzungsmacht zu verurteilen und sich von völkermörderischen Äußerungen israelischer Offizieller zu distanzieren.

Äußerungen und politische Meinungen sind eine Sache, materielle Unterstützung für die Begehung von Kriegsverbrechen eine andere. In der Eile, ihre bedingungslose Loyalität gegenüber dem Staat Israel zu beweisen, haben deutsche Beamte nicht nur ihre moralischen Verpflichtungen verraten, sondern auch deutsche Bürger, Soldaten und Politiker einem rechtlichen Risiko ausgesetzt.

Es wurde eine Debatte über die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine geführt, ob Deutschland dadurch zu einer Kriegspartei wird und was passiert, wenn die Waffen in die Hände von Einheiten fallen, die in der Ukraine Nazi-Bilder und Ideologie verwenden. Aber im Fall der militärischen Beziehungen Deutschlands zu Israel ist die Komplizenschaft viel tiefer und das Risiko größer.

2017 unterzeichnete Deutschland einen Vertrag mit dem israelischen Rüstungsunternehmen Israeli Aerospace Industries (IAI) über das Leasing von 16 Heron-TP-Drohnen, die auf israelischem Boden stationiert bleiben, aber zur Ausbildung der Bundeswehr eingesetzt werden. Hinter dem Geschäft stecken die Interessen der Rüstungsindustrie und Korruption. IAI ist Israels größtes staatliches Rüstungsunternehmen und seine Gewerkschaftsmitglieder sind auch Mitglieder der rechtsgerichteten israelischen Likud-Partei. Als der ehemalige israelische Finanzminister Moshe Kahlon drohte, den deutschen Rüstungskonzern Thyssenkrupp wegen des einseitigen U-Boot-Geschäfts, bei dem Thyssenkrupp neun U-Boote der Dolphin-Klasse an die israelische Marine verkaufte, die Atomwaffen tragen und abfeuern können, auf die Schwarze Liste zu setzen, wurde die deutsche Regierung unter Druck gesetzt, ein Gegengeschäft zu unterzeichnen und israelische Waffen zu kaufen, um Thyssenkrupp vor einer Schwarzen Liste zu bewahren. Die Leasingkosten für die Heron-TP-Drohnen beliefen sich auf 780 Millionen Euro.

Obwohl die Bundeswehr keine bewaffneten Drohnen einsetzen durfte, fiel die Wahl auf die Heron-TP-Drohnen, die zu den größten Militärdrohnen der Welt gehören und 2,7 Tonnen Munition tragen können. Sie sind nicht für die Überwachung, sondern für die Tötung und Zerstörung konzipiert. Im Koalitionsvertrag 2021 der Ampel-Koalition hat die Regierung angekündigt, die Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen auszustatten.

Im Januar 2019 stellte die Partei Die Linke im Bundestag eine Anfrage, ob die Gefahr bestehe, dass die Heron-TP-Drohnen der Bundeswehr im Rahmen ihrer Ausbildung über das besetzte palästinensische Gebiet fliegen, und erhielt keine klare Antwort. Die Befürchtung war, dass deutsche Drohnenbetreiber durch den Überflug eines besetzten Gebietes zu Beteiligten eines Verbrechens an Palästinensern werden könnten.

Als jetzt das israelische Militär eine massive Operation gegen den Gazastreifen begann, die von Rachegelüsten motiviert war und von völkermörderischen Äußerungen des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant begleitet wurde, beschloss die deutsche Regierung, ihre in Israel stationierten Heron-TP-Drohnen an die israelische Luftwaffe zu „verleihen“.

Diese Entscheidung ist ungeheuer gefährlich. Israel hat zugegeben, dass es bewaffnete Drohnen für Angriffe und Tötungen einsetzt, oft wahllos. Damit wird nicht nur bestätigt, dass deutsche Drohnen über das besetzte palästinensische Gebiet fliegen werden, sondern auch, dass die Drohnen von der Besatzungsmacht eingesetzt werden, um Menschen unter Besatzung anzugreifen und zu töten.

Human Rights Watch hat bestätigt, dass Israel in den ersten Tagen der Bombardierung des besetzten Gazastreifens verbotene weiße Phosphorwaffen gegen Zivilisten eingesetzt hat. Am Freitag, den 13. Oktober, ordnete die israelische Regierung an, dass der nördliche Gazastreifen, in dem 1,1 Millionen Palästinenser leben, innerhalb von 24 Stunden evakuiert werden muss, bevor das Gebiet vollständig zerstört wird. Die palästinensischen Bewohnerinnen und Bewohner haben keinen sicheren Zufluchtsort. Die israelischen Streitkräfte nutzten Facebook, um die Palästinenser vor der Bombardierung ihrer Häuser zu warnen, aber das Internetnetz ist in weiten Teilen des Gazastreifens aufgrund der israelischen Bombardierung zusammengebrochen. Israel gab außerdem bekannt, dass es selbst diese weitgehend nutzlosen „Warnungen“ nicht mehr verschickt.

Darüber hinaus hat Israel Deutschland um Munition für seine Kriegsschiffe gebeten, die für die Bombardierung der wehrlosen Zivilbevölkerung im dicht besiedelten Gazastreifen durch Marinekanonen eingesetzt werden sollen. Die deutsche Regierung hat eingewilligt und mit der Lieferung von Munition begonnen, wohl wissend, dass diese gegen Zivilistinnen und Zivilisten eingesetzt werden wird. Ein Sonderflug der Lufthansa wurde von Deutschland organisiert, um israelische Soldaten (Reservisten) in das Kriegsgebiet zu schicken und damit den Einsatz der israelischen Streitkräfte gegen Zivilisten in einem besetzten Gebiet zu unterstützen.

Diese Entwicklungen werfen dringende Fragen auf:

  1. Werden sich die Betreiber von Bundeswehrdrohnen an einem Militäreinsatz in einem besetzten Gebiet gegen Palästinenser beteiligen?
  2. Helfen Bundeswehrangehörige beim Laden von Waffen, beim Betanken der Drohnen, bei der Wartung und Reparatur der Drohnen und leisten damit direkte Hilfe bei der Begehung von Kriegsverbrechen?
  3. Wenn die UNO eine Untersuchung der Kriegsverbrechen einleitet (wie sie es bei früheren israelischen Angriffen auf den Gazastreifen getan hat), erwartet die deutsche Regierung dann von den israelischen Behörden, dass sie die Namen der mitschuldigen deutschen Soldaten und Offiziere ebenso verschweigt wie die Namen der mitschuldigen israelischen Soldaten und Offiziere?
  4. Hat die Bundesregierung in Anbetracht der Tatsache, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Zuständigkeit für die besetzten palästinensischen Gebiete bereits bestätigt hat, in Betracht gezogen, dass vor dem Internationalen Strafgerichtshof Anklage gegen Offiziere der Bundeswehr erhoben werden könnte, und dass die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern, darin besteht, dass diese Offiziere in Deutschland selbst von deutschen Gerichten wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen angeklagt werden?

Es kann argumentiert werden, dass nicht nur Deutschland, sondern auch die Vereinigten Staaten den israelischen Streitkräften militärische Unterstützung anbieten und Munition und zwei Flugzeugträger in die Region schicken. Dabei gibt es zwei wichtige Unterschiede zu beachten. Erstens haben die Vereinigten Staaten das Übereinkommen von Rom über den Internationalen Strafgerichtshof nicht unterzeichnet und erkennen dessen Zuständigkeit nicht an. Deutschland ist ein Unterzeichner und daher unterliegen Soldaten und Offiziere der Bundeswehr sowie deutsche Politiker den Urteilen des Gerichtshofs. Zweitens hüten sich die Vereinigten Staaten jedoch, US-Truppen einzusetzen und US-Waffen gegen Zivilisten zu verleihen.

Dies ist ein Appell an die deutsche Regierung, damit aufzuhören, bevor es zu spät ist, sich an Gräueltaten gegen wehrlose Zivilisten mitschuldig zu machen. Rache an Palästinensern ist keine Form der rechtlichen oder moralischen Solidarität mit Israelis.

Vor allem aber ist dies ein Appell an die Soldaten und Offiziere der Bundeswehr. Ihre Situation ist prekär, denn die Regierung hat Ihnen einen Befehl erteilt, der dazu führen kann, dass Sie eine unmoralische, völkerrechtswidrige Handlung begehen und dafür möglicherweise bestraft werden. Als Angehöriger der Bundeswehr wissen Sie sicherlich, dass die Ausrede, „Ich habe nur Befehle befolgt“, Sie nicht schützen wird.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=105280


Informationsstelle Militarisierung e. V.

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Wir sind schockiert über das brutale Vorgehen der Hamas und die von ihr angerichteten Massaker. Kein Verweis auf das Handeln der Gegenseite kann diese Taten rechtfertigen und unsere Solidarität gilt den Opfern dieser Verbrechen. Gleichzeitig sind die Reaktionen der israelischen Regierung ebenfalls fatal. Die massiven Bombardierungen Gazas haben nichts mit Selbstverteidigung zu tun, sie sind Kriegsverbrechen und ein klarer Bruch des Völkerrechts. Auch die nochmalige Verschärfung der Blockade Gazas ist eine illegale kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung, vor der nicht im Namen einer falsch verstandenen Solidarität die Augen verschlossen werden darf.

Doch genau das tut die Bundesregierung: Sie übermittelt der israelischen Regierung ihre bedingungslose Solidarität, einschließlich militärischer Unterstützung. Sie stärkt damit die Hardliner und nimmt dabei auch noch die Gefahr in Kauf, dass es zu einer Ausweitung der Kriegshandlungen auf den Libanon oder gar den Iran kommen könnte. Deutschland hat eine Verantwortung, sich für eine Friedenslösung einzusetzen und nicht die israelische Regierung in ihrem zerstörerischen Kurs auch noch zu bestärken. Terror und Gewalt müssen verurteilt werden, egal von welcher Seite sie verübt werden. Empathie mit allen Opfern ist wesentlich. Angesichts dessen ist es völlig unverständlich und kontraproduktiv, dass nun selbst Demonstrationen verboten werden, die ein Ende der Gewalt auf allen Seiten fordern. Umso wichtiger ist es, den Stimmen israelischer und palästinensischer Aktivist*innen Gehör zu verschaffen, die sich für ein Durchbrechen der militaristischen Logik einsetzen.


Daniel Barenboim zum Krieg in Israel: Leiden Unschuldiger unerträglich – egal auf welcher Seite

In einem Gastbeitrag verurteilt der 80-Jährige die Hamas und appelliert an beide Seiten im israelisch-palästinensischen Konflikt, sich für Frieden einzusetzen.

In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung sendet Daniel Barenboim nach dem terroristischen Angriff der Hamas und den Vergeltungsmaßnahmen Israels eine Friedensbotschaft aus. Der 80 Jahre alte, in Argentinien geborene israelische Dirigent, Pianist und langjährige Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden zeigt sich zutiefst erschüttert über die durch nichts zu rechtfertigenden „barbarischen, terroristischen Akte der Hamas gegenüber Zivilisten, darunter Kinder und Babys“.

Er sei aber überzeugt, dass es für den Konflikt nur eine Lösung „auf der Grundlage von Humanismus, Gerechtigkeit und Gleichheit – und ohne Waffengewalt und Besatzung“ geben kann. Man dürfe sich von Extremisten und Gewalt in dem Streben nach Frieden nicht übertönen lassen. „Jegliche Analyse, jegliche moralische Gleichung, die wir möglicherweise aufsetzen, muss aber als Basis dieses Grundverständnis haben: Es gibt Menschen auf beiden Seiten. Menschlichkeit ist universell, und die Anerkennung dieser Wahrheit auf beiden Seiten ist der einzige Weg. Das Leiden unschuldiger Menschen auf egal welcher Seite ist absolut unerträglich.“

Barenboim: Palästinenser müssen „Hoffnung spüren können“

Die Mitglieder des von ihm gegründeten West-Eastern Divan Orchestra und der Barenboim-Said-Akademie seien fast alle unmittelbar betroffen. Es sei die Bereitschaft zur Empathie gefragt, man dürfe einander nicht die Menschlichkeit absprechen. Man müsse denen, die sich zum Extremismus hingezogen fühlten, andere Perspektiven bieten. „Meist sind es doch völlig perspektivlose, verzweifelte Menschen, die sich mörderischen oder extremistischen Ideologien verschreiben, dort ein Zuhause finden.“ Barenboim ist überzeugt: „Die Israelis werden dann Sicherheit haben, wenn die Palästinenser Hoffnung spüren können, also Gerechtigkeit. Beide Seiten müssen ihre Feinde als Menschen erkennen und versuchen, ihre Sichtweise, ihren Schmerz und ihre Not nachzuempfinden.“ Die Israelis müssten auch akzeptieren, „dass die Besetzung Palästinas damit nicht vereinbar ist“.

aus: berliner-zeitung.de

Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost

Stellungnahme zum aktuellen Gaza-Krieg und der Gewalteskalation in Israel

Wir sind auch wütend, wütend auf die Unterstützer des 75jährigen israelischen Kolonialregimes und die Blockade des Gazastreifens, die zu diesen Ereignissen geführt hat.

Nun ist eingetreten, wovor viele in unseren Reihen seit Jahren gewarnt haben. 16 Jahre Blockade, Mangel an sauberem Wasser, Strom, medizinischer Versorgung sowie regelmäßige Bombenangriffe haben Gaza zu einem Pulverfass gemacht. Gaza gilt laut UN seit 2020 als unbewohnbar. Was nun geschehen ist, glich einem Gefängnisausbruch, nachdem die Insassen zur lebenslangen Haft verurteilt wurden, nur weil sie Palästinener:innen sind.

Die israelische Regierung hat eine Kriegserklärung abgegeben, doch der Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung dauert schon 75 Jahre. Vertreibung, Bombardements, Verhungern, Verdursten, Beschränkung von Essen, Strom, Wasser – das sind die Wurzeln der Gewalt.

Viele in Deutschland zeigen sich gerade solidarisch mit Israel, mit einem Apartheidstaat, der eine rassistische Politik gegen das palästinensische Volk ausübt, die schon Zehntausende das Leben gekostet hat. Doch wer das Blutvergießen tatsächlich beenden möchte, muss sich für eine radikale Veränderung der bisherigen Politik einsetzen, damit alle Menschen in Freiheit leben können.

Die deutsche Regierung hat seit Jahren keine Außenpolitik in Israel-Palästina. Die Palästinenser:innen werden in Deutschland systematisch entmenschlicht: Sie dürfen für ihre politischen Rechte und  Aufforderungen nicht demonstrieren, ihre Geschichte, Identität oder Gefühle zeigen. Die deutsche Politik hat den gewaltlosen Widerstand in Form von BDS oder Demonstrationen immer wieder kriminalisiert und unterdrückt.

Wir fordern die deutsche Regierung auf, ihr eigenes Grundgesetz zu respektieren: die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen Israels nicht mehr zu unterstützen, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu sichern und sich dafür einzusetzen, dass alle Menschen zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan die gleichen Rechte bekommen.


https://www.juedische-stimme.de/protestbrief-gegen-die-invasion-von-jenin

PROTESTBRIEF GEGEN DIE INVASION VON JENIN

PROTESTBRIEF GEGEN DIE INVASION VON JENIN

https://www.eccpalestine.org/jenin-dringender-handlungsbedarf-erforderlich/

Im Spiegel gab es sogar einen schonungslos kritischen Artikel zur israelischen Vorgehensweise: https://tinyurl.com/46v5ftuf Untenstehend der Text, da der Artikel hinter einer Paywall steht.

 

Dschenin während der israelischen Operation »Heim und Garten«

48-Stunden-Militäroperation

Dschenin zeigt, wie brutal Israels Rechtsextremisten ihre Politik durchsetzen

Für Palästinenser kein Platz mehr: Die israelische Militäroperation offenbart die Härte, mit der die neue Regierung im Westjordanland agiert. Doch die EU oder USA scheinen das verdrängen zu wollen. Was muss noch passieren?

 

Eine Analyse von Julia Amalia Heyer

07.07.2023, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 28/2023

 

Es war die größte Operation israelischer Streitkräfte im Westjordanland seit mehr als zwei Jahrzehnten. Kampfhubschrauber, bewaffnete Drohnen, Militärkonvois samt Bulldozern und mehr als tausend Soldaten. Im Fadenkreuz der israelischen Armee: das zur Stadt gewachsene Flüchtlingslager von Dschenin.

Etwa 48 Stunden dauerte der Einsatz, das Ergebnis: 12 Tote und mehr als 100 Verletzte auf palästinensischer Seite; ein getöteter israelischer Soldat. Dschenin, vorher schon nicht pittoresk, ist jetzt ein Ort der Verwüstung.

Der Abzug war bereits im Gange, da fasste Benjamin Netanyahu in Worte, was wohl niemandem, der das Geschehen in Nahost in den vergangenen Wochen, Monaten, Jahren, Jahrzehnten auch nur kursorisch verfolgt, verwundert: Dieser Einsatz, sagte der israelische Premier, werde kein Einzelfall bleiben. »Wir werden weitermachen, solange es nötig sein wird, Terror zu bekämpfen.«

2023 ist schon jetzt das blutigste Jahr im Westjordanland  seit dem Ende der zweiten Intifada 2005. 135 Palästinenser und 24 Israelis wurden bereits getötet. Die Zahl der Opfer auf der jeweiligen Seite mag in etwa das Kräfteverhältnis widerspiegeln.

»Wir werden weitermachen, solange es nötig sein wird, Terror zu bekämpfen«

Benjamin Netanyahu, israelischer Regierungschef

Die Militäroperation in Dschenin war eine Art Mikrokrieg, ein Fanal, das rasch zur gängigen Praxis werden könnte. Das nächste Ziel liegt womöglich nur rund 40 Kilometer entfernt: Nablus. Auch diese Stadt gilt als Hort des Widerstands gegen die israelischen Besatzer.

Die Regierung in Jerusalem , seit gut sechs Monaten am Ruder, hat die Eskalation offenbar zum politischen Prinzip erhoben. Die moderateren Kräfte in ihr spielen keine Rolle. Nie war ein israelisches Kabinett nationalistischer, religiöser, extremistischer.

 

Reaktion der internationalen Gemeinschaft: Langes Schweigen

 

Wer denkt, dass die internationale Gemeinschaft  dieser Regierung nun anders begegnen würde – geht es hier doch auch um den Konsens internationalen Rechts – darf weiter tapfer darauf warten. Die Reaktionen auf die Operation »Heim und Garten« in Dschenin jedenfalls waren die altbekannten: Erst stundenlanges Schweigen, dann mahnte die Uno Verhältnismäßigkeit an, die USA den »Schutz von Zivilisten«, und die EU rief »alle Parteien zur Deeskalation« auf.

Was sich allerdings verändert hat, ist die Natur des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern – vor allem im Westjordanland. Das zeigt auch die Operation in Dschenin.

Und was zuerst eher langsam vonstattenging, wurde in den vergangenen Monaten regelrecht vorangepeitscht. Seit Antritt dieser Regierung liegt offen zutage, was immer noch wenige Beobachter im Westen zu realisieren scheinen: Hier wird keine Lösung mehr gesucht. Hier geht es um Eskalation. Der Stärkere gewinnt.

Das stimmt in gewisser Weise sogar für das Kernland, wo Israelis nun die 26. Woche in Folge gegen die Pläne ihrer Regierung demonstrieren – aber insbesondere gilt es für das Verhältnis mit den Palästinensern.

»Das jüdische Volk hat ein exklusives und unveräußerliches Recht auf alle Teile des Landes Israel«, so lautet der erste Satz des Koalitionsvertrags der regierenden Parteien. Klarer geht es nicht. Die Dschenin-Operation war auch Beispiel dafür, wie Jerusalem in Zukunft versuchen könnte, diesen Satz umzusetzen. Dieser Anspruch auf ein »Groß-Israel« , in dem die Grenzen von 1948 endgültig keine Rolle mehr spielen, wird seither täglich untermauert.

Mit Worten etwa, wenn Heimatministerin Orit Strock vom Bündnis Religiöser Zionismus erklärt, man werde sich auch den Gazastreifen wieder zurückholen. Aber vor allem mit Taten.

Chomesch, eine Siedlung im Westjordanland, die der damalige Premierminister Ariel Scharon 2005 geräumt hatte, wurde jetzt wieder besiedelt. Die Siedlergewalt gegen Palästinenser nimmt beständig zu. Ein unverhältnismäßig großer Teil des Staatshaushalts fließt in Infrastruktur jenseits der Grünen Linie. Es gibt ständig brutale Razzien in eigentlich palästinensisch verwalteten Gebieten, wie Dschenin oder Nablus.

 

De-facto-Annexion von Teilen des Westjordanlands

 

Nichts verdeutlicht den Anspruch auf das »ganze Land« so sehr wie die Verlagerung der sogenannten Zivilverwaltung. Der Schritt bezeugt, dass sich die völkerrechtlich zeitlich begrenzte Besatzung des Westjordanlands in eine auf Dauer angelegte israelische Kontrolle verwandeln soll. Der Begriff für das, was da passiert lautet: Annexion.

Und auf diesem neuen Posten, zuständig für die im Westjordanland lebenden Israelis, sitzt nun mit Finanzminister Bezalel Smotrich  ein Siedlerideologe. Wenn Smotrich über sein Land spricht, zeigt er gern Karten, auf denen auch Teile Jordaniens zu Israel gehören. Das Volk der Palästinenser existiert für Smotrich nicht, und das sagt er auch ganz offen.

So brutal wie Smotrich selbst hat sonst nur sein Kabinettskollege, Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, diesen massiven Einsatz »gegen den Terror« gefordert. Der ultrarechte Hardliner wurde 2007 wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung« verurteilt. So viel zum Terror-Begriff im Nahen Osten. Ben-Gvir will die Todesstrafe für Terroristen einführen, die, ginge es nach ihm, nur für Palästinenser gelten soll.

Gewalt statt Oslo

 

Die Parameter des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern haben sich derart grundlegend verschoben, dass es wirkt, als hätte der Osloer Friedensprozess gar nie stattgefunden. Dabei gräbt sich die Gewalt immer tiefer in diesen umkämpften Flecken Land. Wie zuletzt vor 20 Jahren.

Palästinenser erschießen, erstechen, überfahren Israelis, an Checkpoints, an Tankstellen, wo auch immer. Israel führt Mikrokriege, wie in Dschenin.

Trotzdem scheinen diejenigen, die auf diesen Konflikt positiv einwirken könnten – die USA oder die EU – das weiter verdrängen zu wollen.

 

Mahnwache des AK Asyl Cuxhaven am 17. Januar 2009 auf der Nordersteinstraße


Archiv des Deutschlandfunk

Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik

Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen. Aber noch bis in die 70iger Jahre galt der Staat Israel sowohl in Amerika als auch in Europa als herausragendes Beispiel einer jungen Demokratie, erschien als ein viel versprechendes Experiment mit einer ganz eigenen Form des demokratischen Sozialismus. Schließlich verkörperte die zionistische Kibbuz-Bewegung in Palästina eine genossenschaftliche Alternative zum privaten Grundbesitz. Seither aber hat sich die israelische Gesellschaft in dramatischer Weise verändert, haben sich die Koordinaten des politischen Systems weit nach rechts verschoben, muss man eine alle Bereiche umfassende Militarisierung des Staates konstatieren.

Oliver Fuchs | 24.05.2003

Für den amerikanischen Linguisten Noam Chomsky stellt der Sechstagekrieg von 1967 den entscheidenden Bruch dar. Mit der faktischen Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete habe Israel sein liberales Selbstbild unwiderruflich aufgegeben und jene repressive und in letzter Konsequenz imperiale Politik entwickelt, die ein erstes Mal 1982 mit der Besetzung des Libanon kulminierte. Damals verloren 20.000 Libanesen und Palästinensern durch die Bombardierungen der israelischen Luftwaffe das Leben, ermöglichte die Regierung Menem Begins das Massaker, das christliche Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra & Schatila verübten.

Tatsächlich haben, wie Chomskys breit angelegte Analyse überzeugend darlegt, seit dem Sündenfall von 1967 alle israelischen Regierungen, – gleichgültig welcher der beiden führenden Parteien sie angehörten –, eine aggressive und expansive Siedlungspolitik betrieben, deren erklärtes Ziel es war, Fakten zu schaffen, die natürlichen Ressourcen in den besetzten Gebieten unter israelische Kontrolle zu bringen, die demographischen Verhältnisse zuungunsten der Palästinenser zu verschieben.

Die israelische Besatzung hatte, was nicht überraschen kann, Demütigung und Erniedrigung zur Folge. Israels Pläne für die Palästinenser haben sich an den von Mosche Dajan formulierten Leitsätzen orientiert, die er vor 30 Jahren (..)äußerte: Israel solle den Flüchtlingen klar machen, dass „wir keine Lösung haben, und ihr wie Hunde weiterleben werdet, und wer gehen will, kann gehen“. Auf Kritik antwortete er mit einem Satz Ben-Gurions: „Wer das zionistische Problem von einem moralischen Standpunkt aus angeht, ist kein Zionist. Er hätte auch den ersten Präsidenten Israels, Chaim Weizmann zitieren können, der das Schicksal von „einigen hunderttausend Negern“ in der Heimat der Juden für „eine bedeutungslose Angelegenheit“ hielt. Seit langem erdulden die Palästinenser Folter, Terror, Zerstörung von Eigentum, Verschleppung, Besiedelung ihres Territoriums und die Übernahme grundlegender Ressourcen, deren wichtigste Wasser ist.

Unerbittlich legt Noam Chomsky den Grundwiderspruch der israelischen Staatsgründung frei, der die demokratischen Hoffnungen der liberalen Zionisten von Anfang an zur Illusion machen musste: dass – um es in den Worten der israelischen Journalistin Amira Hass auszudrücken –, „Demokratie für die einen Enteignung für die anderen“ bedeuten musste. Chomskys unmittelbare Vertrautheit mit hebräischen Quellen ist für diese bestürzende Analyse von besonderer Bedeutung. Lakonisch konstatiert der Hebräist Chomsky, wie sehr die in der Landessprache geführte innerisraelische Debatte von dem in Englisch verfassten Diskurs der israelischen Öffentlichkeit differiert. Dieser diene vor allem dazu, das liberale Image Israels in den USA nicht zu beschädigen. Er transportiere dort mit großer Effizienz das Bild einer westlich orientierten Arbeiterpartei, die dem Obskurantismus und revisionistischen Zionismus des Likud gegenüber stehe.

Vehement und mit einer Vielzahl von Zitaten widerlegt Chomsky die westliche Vorstellung, die Arbeiterpartei sei sehr viel mehr als der Likud für einen Ausgleich mit den Palästinensern eingetreten.

Traditionellerweise haben die Zionisten der Arbeiterpartei im jordanischen König, nicht aber in der einheimischen Bevölkerung Palästinas, ihren Verhandlungspartner gesehen. Zudem ist die Ansicht, dass es letztlich die Araber sind, die anderswo ihre Heimat finden müssen, im zionistischen Denken tief verwurzelt und findet sich sogar bei Berl Katznelson, einem Helden des sozialistischen Zionismus, der für die meisten frühen Pioniere allmählich den Status eines säkularen „Rabbi“ erlangte. Katznelson allerdings dachte eher an Syrien und den Irak als Zufluchtsort für die palästinensische Bevölkerung. Ähnliche Ideen sind von Chaim Weizmann, David Ben-Gurion und vielen anderen vorgetragen worden. Für Ben-Gurion, der einer weit verbreiteten Überzeugung Ausdruck verlieh, war daran „nichts moralisch Falsches“, auch wenn der Transfer erzwungen werden musste, also Ausweisung bedeutete, war er doch der Meinung, dass die einheimische Bevölkerung – von der er offenbar wenig wusste und hielt – keine „emotionalen Bindungen“ an das Land hegte.

Chomskys Buch verstärkt den Eindruck, dass diese Ignoranz der jüdischen Siedler gegenüber den Palästinensern kein Zufall ist. Sie erscheint als ein gelegentlich sogar bewusstes Ausblenden der Unausweichlichkeit eines Konflikts, der nur als Reflex auf die nationalsozialistischen Verbrechen verstanden werden kann.

Erst 1942 unter dem Eindruck des von den Deutschen mit industrieller Perfektion organisierten Massenmords an den Juden legte sich die zionistische Bewegung auf die Gründung eines jüdischen Staates fest. Nie wieder in einem Staat leben zu müssen, in dem man die prekäre Rolle einer verfolgten Minderheit hat, nie wieder ohnmächtig und ohne Möglichkeit zur Selbstverteidigung dazustehen, ein territoriales Refugium für alle Juden sicherzustellen: das wurde nach der Erfahrung der Schoah zur Triebfeder des Zionismus. Die geschichtliche Verantwortung Deutschlands für die Existenz Israels erstreckt sich damit auch auf diesen aus dem Trauma der Schoah geborenen Grundwiderspruch des jüdischen Staates. Für den deutschen Leser macht das Chomskys Buch zu einer tief deprimierenden Erfahrung.

Israel ist ein jüdischer Staat mit einer Minderheit nicht-jüdischer Bürger. Es ist nicht der Staat seiner Bürger, sondern des jüdischen Volks, sei es in Israel oder in der Diaspora. Es gibt keine israelische Nationalität. Zwar wird gemeinhin behauptet, Israel sei nur in dem Sinne jüdisch, wie Großbritannien britisch ist, so dass jene, die – vergeblich – auf den Tatsachen beharren, dem jüdischen Nationalismus sein Recht absprechen, aber das ist einfach falsch. Ein Bürger Großbritanniens ist britisch, aber ein Bürger Israels, muss nicht jüdisch sein; das ist eine alles andere als triviale Tatsache, die auch durch Rhetorik nicht verdeckt werden kann.(..) Der grundlegende Widerspruch, der in der Idee eines demokratischen und jüdischen Staats liegt, tritt mit der zunehmenden Integration der besetzten Gebiete immer deutlicher zutage.

Mit großer wissenschaftlicher Disziplin und unerschrockener Unparteilichkeit deckt Chomsky in einem halben Jahrhundert Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts das untergründige und gespenstische Fortwirken des Nationalsozialismus auf. Seine unheilvolle Wirkung spiegelt sich in rassistischen Strömungen des jüdischen Staates ebenso wie in dem darauf antwortenden antisemitischen Rassismus der Araber; als ob es keinen Endpunkt für das einmal geschichtliche Realität gewordene Verhängnis geben könne, als ob sich Rassismus, Genozid und Vertreibung unendlich fortsetzen müssten.

Die Arme der Gefangenen mit Registriernummern zu versehen, ist eine offenbar weit verbreitete Praxis. Der Friedensbewegung angehörende Offiziere berichten, dass israelische Soldaten regelmäßig die Handgelenke arabischer Gefangener mit deren Personalausweisnummern beschriften. Zudem seien arabische Gefangene, die die Unterkünfte der israelischen Soldaten reinigen mussten, „nachts in eine kleine Zelle gesperrt und so geschlagen worden, dass viele von ihnen nicht mehr aufstehen konnten – Jugendliche, von denen die meisten noch nicht verurteilt worden waren und die aus Mangel an Beweisen freigelassen werden“. In der Zeitschrift „Davar“ klagt Aharon Geva: „einige von uns Israelis benehmen sich wie jene schlimmste Art von Antisemiten, deren Name hier nicht genannt werden kann, wie die Leute, die den Juden als untermenschliche Kreatur darstellten.

Noam Chomskys Analyse wurde ursprünglich für eine amerikanische Öffentlichkeit geschrieben. Für den überzeugten Antikolonialisten ist das endlose Morden in Palästina nicht denkbar ohne die machtpolitischen Interessen der amerikanischen Außenpolitik. Die USA tragen als Schutzmacht und vor allem als Zahlmeister Israels in ganz anderer Weise als Deutschland Verantwortung. Die Geostrategen im Weißen Haus machten den jüdischen Staat mit der faktischen Ausdehnung der Monroe-Doktrin auf die Golf-Region zu einer Art Brückenkopf in einem Gebiet, das zwei Drittel der Welterdölvorkommen beherbergt. Das erklärt die massive Hochrüstung Israels durch die USA, die weit über eine Bewaffnung zur Selbstverteidigung hinausgeht. Chomskys Darstellung der amerikanischen Mittlerrolle im Nahostkonflikt ist vernichtend: nie haben die zahllosen Friedensinitiativen von Reagan bis Clinton wirklich ernsthaft die Rechte der Palästinenser in Erwägung gezogen, immer hat die US-Friedensrhetorik nur die massive finanzielle Unterstützung der israelischen Siedlungspolitik verdeckt, immer war es das amerikanische Veto, das Resolutionen zum israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten zu Fall brachte. Mit der Unterstützung der dominierenden Medien ist in Washington oder New York substantielle Kritik an der israelischen Besatzungspolitik zu einem mächtigen Tabu geworden, gibt es eine unheilvolle Allianz zwischen den reaktionärsten Kräften in beiden Ländern.

Aber auch in Deutschland steht Chomskys Buch quer zu allen Lagern. Seine radikale Demontage der vorgeblichen Friedensbereitschaft der Arbeiterpartei und ihrer prominentesten Aushängeschilder Shimon Peres und Jitzhak Rabin muss alle verstören, die vor allem den offenen Radikalismus Ariel Sharons für das Scheitern des Oslo-Prozesses verantwortlich machen. Bestürzend auch das Urteil über das hierzulande von großen Erwartungen begleitete Abkommen. Es zeigt für Chomsky überdeutlich, wie sehr sich die Koordinaten verschoben haben, wie sehr es Israel und seiner amerikanischen Lobby gelungen ist, die öffentliche Meinung im Westen zu beeinflussen. Ein Blick auf die Landkarte würde genügen, um zu zeigen, dass es auf eine Übernahme des „Homeland-Modells“ hinausläuft, wie es einst vom rassistischen Südafrika praktiziert wurde. Schon damals ging archaischer Rassismus bruchlos über in moderne kapitalistische Ausbeutung.

Es ist so, als wenn New York State die Verantwortung für die Slums von South Bronx und Buffalo an lokale Behörden delegiert, während er die finanziellen, industriellen und kommerziellen Sektoren, die Viertel der Reichen und praktisch die ganze nutzbaren Ländereien und Ressourcen behält, mit Ausnahme einiger verstreuter Regionen, die er lieber jemand anderem überlässt (..). Abgesehen von privilegierten Schichten, die sich den neokolonialistischen Bedingungen anpassen, kann der Rest der Bevölkerung in den besetzten Gebieten eine Zukunft erwarten, die anderswo längst Gegenwart ist, wie etwa in Haiti, wo die Arbeiter für einige Cent die Stunde in US-amerikanischen Fabriken arbeiten, oder in China, wie die Menschen für ausländische Produzenten unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften.

Chomsky ist ein ebenso entschiedener Verfechter des Rechts auf Widerstand, wie er Gegner von Gewalt ist. Wer Gewalt anwendet, trägt nach seinen Worten immer die Beweislast, dass ihre Anwendung unvermeidlich war. Die Selbstmordattentate der Islamisten können diesen Beweis in seinen Augen ebenso wenig erbringen wie die blutige militärische Repression der israelischen Armee. Zur geschichtlichen Wahrheit aber, auf die Chomsky in diesem Zusammenhang hinweist, gehört aber auch dass terroristische Gewalt schon immer Bestandteil nationaler Befreiungsbewegungen war. Das gilt auch für die zionistische Bewegung, deren terroristische Aktivität vor und nach der Gründung des Staates Israel Chomsky in erschreckenden Details nachzeichnet.

Michael Haupt hat das Buch handwerklich überzeugend übersetzt, dennoch leidet die deutsche Ausgabe unter den massiven Kürzungen, denen nicht nur viele der wichtigen amerikanischen Bezüge sondern auch das Vorwort von Edward W. Said zum Opfer gefallen sind. Völlig unverständlich aber ist der Wegfall des Kapitels über Israels Rüstung. In einer Zeit, da in den USA und auch hierzulande von der Gefahr eines „Zweiten Holocaust“ durch die Selbstmordattentate gesprochen wird, ist es wichtig die realen Machtverhältnisse in Erinnerung zu rufen. Der Umfang des nuklearen und chemischen Waffenarsenal Israels jedenfalls führt eine solche Vorstellung ad absurdum.


hier die komplette Fassung

Viktoria Waltz, Monopoly ohne Grenzen

 

Kurzfassung
Israel ist das Produkt eines Raumplanungsprozesses, der einem riskanten
Monopoly gleicht: höchste Einsätze um Boden, Besiedlung und Bevölkerung.
Raumplanung entpuppt sich dabei als ein umfassendes Herrschaftsinstrument zur
Sicherung des Monopols über Palästina.
Israel ist das Ergebnis eines zionistischen Großraumprojekts, dessen Ergebnis heute
eine rassistische Gesellschaft ist, die sich jüdisch national definiert und einen
ethnisch reinen, jüdischen Staat anstrebt. Um den bestehenden jüdischen Staat
‚reinen Blutes‘ zu halten, hetzen fundamentalistische Rabbiner ihre jüdischen
Landsleute auf, keine Heirat mit Nicht-Juden einzugehen, keine Häuser und
Wohnungen an Araber zu vermieten, usw. 1 Die Regierung, besonders das
zionistische Regime in seiner jüngsten Ausprägung, setzt sämtliche ihr zur
Verfügung stehenden Mittel ein, um die in Israel lebenden Palästinenser
kaltzustellen und die in den besetzten Gebieten lebenden Palästinenser zu
drangsalieren, um schließlich möglichst alle zu vertreiben. Das zionistische Regime –
voran die zentralen Institutionen World Zionist Organization (WZO), Jewish Agency
(JA) und Jewish National Fund (JNF), im Einklang mit fanatischen Siedlern, die eine
‚End-Erlösung‘ im jüdischen Sinne aktiv betreiben wollen – ist dabei, die zionistisch-
jüdische Herrschaft auf das gesamte Gebiet Palästinas auszudehnen, wie es zu
Mandatszeiten versprochen wurde und die Palästinenser so weit zu demütigen, dass
sie entweder freiwillig gehen, sich zum Zionismus „bekehren“ oder schlimmstenfalls,
wenn das unmöglich werden würde, sich mit einem unwürdigen Leben in Bantustans
oder Ghettos in Einem Staat, Israel, zufrieden zu geben.
Die vorliegende Darstellung will deutlich machen, dass dieser seit mehr als hundert
Jahren andauernde Prozess nicht die logische Konsequenz aus den Ereignissen der
uns als Holocaust bekannten Tragödie der Europäischen Juden ist und auch nicht
Ergebnis von falschen Entscheidungen unkluger oder unfähiger Politiker, sei es auf
der zionistischen, sei es auf der arabischen Seite. Sie wird deutlich machen, dass die
vorerst letzte Etappe einer von langer Hand im 19. Jahrhundert akribisch geplanten
Strategie zur Errichtung genau dieses Staates im Nahen Osten ist, mit all den
Konsequenzen, die wir heute erkennen können: Massaker, Kriege, Zerstörung und
Vertreibung des dort lebenden autochthonen Volkes, eingebettet in eine Strategie
des ‚Teile und Herrsche’ bei den umgebenden arabischen Nachbarn. Es wird
deutlich werden, dass die Errichtung des jüdischen Staates auf den Ruinen
Palästinas vor allem ein konkretes Kolonialprojekt ist und Bestandteil der
Hegemonialansprüche der westlichen Imperien auf diese Ressourcen reiche Region:
Israel ‚chartered‘ für imperiale globale Interessen an diesem Raum, ‚Charter Staat‘.2
Eine weitere Triebkraft für dieses Projekt, ebenso alt wie die zionistische Idee, wird
dabei nur gestreift werden: die jüdisch-christlichen Interessenten an diesem Projekt,
1 Siehe Cook, Jonathan 2010: Israels right-wing rabbis pour forth ‚hateful ideas‘, in: The National, December 9, 2010.
2 Analog des Konzepts ‘Charter City’ von Paul Romer, US Ökonom, siehe weiter unten Anmerkungen 6 und 10.die in bemerkenswerter Symphonie vom gleichen Streben nach einem jüdischen,
religiösen Staat gelenkt sind und vor allem Jerusalem als Ort der ‚Erfüllung‘ im Focus
sehen. Es ist dabei immer im Blick zu behalten, dass alles, was die zionistischen
Funktionäre und Israel seit dem UN-Beschluss der Teilung Palästinas 1947 an
Landraub, Zerstörung und Vertreibung auf der einen Seite und Okkupation,
Neubesiedlung und Änderung der Besitz– und demographischen Verhältnisse auf
der anderen Seite systematisch betrieben haben, gegen internationales Recht
verstößt und illegal ist, wie hunderte von UN-Beschlüssen belegen.3 Nach wie vor
besteht der Mandatsauftrag von 1923, einen arabisch-palästinensischen Staat in
Palästina zu errichten, der vielleicht, wenn nicht die USA und Israel auch diesen
Versuch verhindern, im September 2011 von der UN-Generalversammlung vollzogen
wird.
Der vorliegende Text verfolgt den roten Faden der Gewaltanwendung, des Betrugs
und der Täuschung, also den Plan, der sich durch das Projekt Israel zieht und der bis
heute von führenden Kräften der Zionistischen Bewegung gewoben und gelenkt wird.
Dies wird am deutlichsten, wenn die Eroberung Palästinas als Prozess der Raum-
Ergreifung betrachtet und die vielfältigen Mittel der Planung dazu untersucht und
aufgezeigt werden. Raumplanung im weitesten Sinne ist als d a s zentrale
Instrument der Kolonialisierung zum Einsatz gekommen. Die Darstellung geschieht
entlang der zentralen Etappen der Staatwerdung Israels, also vom ‚Vormärz‘ der
ersten Zionistischen Kolonien in Palästina um 1890 bis zur Mandatszeit, über die Zeit
des Staatsaufbaus nach 1948 bis in die Zeit der Besetzung der Westbank und des
Gaza Streifens bis heute, der Phase des so genannten Friedensprozesses.
Eine zentrale These dieser Arbeit ist, dass Israel sich von einem kolonialen Charter-
Projekt darüber hinaus zu einem Projekt des rassistisch-religiösen
Fundamentalismus entwickelt hat, der allerdings in einem scheinbar demokratischen
Gewand daherkommt.
Die methodische Vorgehensweise ist die Präsentation von Fakten und ihre
Interpretation aus dem theoretischen Zusammenhang. Der theoretische
Zusammenhang erklärt sich aus einer Sicht der Geschichte als eines Prozesses, der
von Widersprüchen geprägt im Kern politökonomisch zu interpretieren ist. Es geht
um das materielle Geschehen, das die soziale und politische Verfasstheit der
Gesellschaft bestimmt und wiederum auf die realen Entwicklungen Einfluss nimmt.
Die Fakten sprechen – sie zu erklären und zu verstehen ist unsere Aufgabe, wenn
wir als verantwortungsvolle Intellektuelle den Konflikt beurteilen und zu einem
Verständnis der zugrunde liegenden Motive und Ziele beitragen wollen.4
Die folgende Darstellung versucht dies, indem sie den Prozess der Kolonialisierung
nachzeichnet und die Instrumente und Methoden der Planung als Teil der politischen
Ökonomie interpretiert. Übersichten (außer 4a, 7a und 26b) sind eigenhändige Produkte der
Verfasserin, sie hat das Copyright. Zugrundeliegende Informationen sind dem Kontext der jeweiligen
Kapitel zu entnehmen. Da Zahlen grundsätzlich je nach Quelle divergieren, wurden sie jeweils
angeglichen oder abgerundet. Insofern sind die Übersichten systematische, nicht präzise Bilder der
räumlichen Entwicklung.
3 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen z.B. hat zwischen 1947 und 2003 200 Resolutionen zum Konflikt verabschiedet. Ein kleiner
Überblick über zentrale UN-Beschlüsse siehe Jeffery, Simon 2003: Key UN resolutions on the Israeli-Palestinian conflict, in: guardian.co.uk,
Wednesday 22 October 2003.
4 Oder wie Chomsky formuliert: „Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und die Lügen aufzudecken.“, in:
Chomsky, Noam 2008: Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Zentrale Schriften zur Politik, Verlag Antje Kunstmann, München, S 14

Mein Appell an das Volk Israels: Befreit euch, indem ihr Palästina befreit

Erzbischof Emeritus Desmond Tutu ruft in einem exklusiven Artikel für die israelische Tages-
zeitung Haaretz zu einem globalen Boykott Israels auf und drängt Israelis und Palästinenser,
jenseits ihrer Staatsführer nach einer nachhaltigen Lösung der Krise im Heiligen Land zu su-
chen.

Palästina Desmond Tutu Aufruf

14. August 2014 | Ursprünglich auf http://www.haaretz.com/opinion/1.610687 erschienen. Übersetzung erfolgte durch die Avaaz-Gemeinschaft.


Berliner Erklärung Schalom 5767

Petition von Jüdinnen und Juden aus Deutschland für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes (Wortlaut)

Der Libanonkrieg des vergangenen Jahres löste auch eine Debatte über das besondere deutsche Verhältnis zu Israel aus. Auch innerhalb des Zentralrates der Juden in Deutschland kam es zu Diskussionen, nachdem dessen Präsidium zur Solidarität mit Israel und dessen militärischem Vorgehen aufgerufen hatte.

Der Libanonkrieg des vergangenen Jahres löste auch eine Debatte über das besondere deutsche Verhältnis zu Israel aus. Auch innerhalb des Zentralrates der Juden in Deutschland kam es zu Diskussionen, nachdem dessen Präsidium zur Solidarität mit Israel und dessen militärischem Vorgehen aufgerufen hatte. Mit dem Lübecker Professor für Neurophysiologie Rolf Verleger, dem Landesvorsitzenden der jüdischen Gemeinschaft in Schleswig-Holstein, kritisierte auch ein Mitglied des Direktoriums die Haltung des Zentralrats. In einem Brief an die Präsidentin des Zentralrats, Charlotte Knobloch, warf Verleger dem Präsidium vor, in seinen öffentlichen Stellungnahmen die dunkle Seite der israelischen Politik im Libanon und gegenüber den Palästinensern zu verschweigen. Der jüdische Staat diskriminiere und bestrafe andere Menschen kollektiv, praktiziere Tötungen ohne Gerichtsverfahren und lasse ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legen. Er wurde daraufhin von seiner Lübecker Gemeinde als Vorsitzender der jüdischen Gemeinschaft in Schleswig-Holstein abberufen.

Am 15. November 2006 veröffentlichte die „Frankfurter Rundschau“ auf ihrer Dokumentationsseite das „Manifest der 25“, eine ausführliche Stellungnahme renommierter deutscher und österreichischer Friedensforscher und Nahostexperten zu den „besonderen Beziehungen“ zwischen Deutschland und Israel (www.fr-online.de/ doku/?em_cnt=1009679). Darin fordern sie eine Haltung der Freundschaft gegenüber Israel, die aber stets auch Kritik erfordere.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Februar 2007.

Bereits Ende September 2006, zu Beginn des neuen jüdischen Jahres 5767, hatten sich auf Initiative von Rolf Verleger „jüdische Menschen aus Deutschland“, so die Presseerklärung, in Berlin getroffen, um eine „Berliner Erklärung“ zu verfassen. Ihr Ziel ist es, die deutsche Bundesregierung zu einer Politik zu bewegen, die eine friedliche und gerechte Lösung für die beiden verfeindeten Länder, Israel und Palästina, anstrebt – „damit das Jahr 5767 ein Jahr des Friedens wird“. Erstunterzeichner dieser Erklärung sind 60 jüdische Bürgerinnen und Bürger, darunter der Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees, Kurt Goldstein, die Historikerin Hanna Behrend, der Philosoph Ernst Tugendhat sowie der Soziologe Michal Bodemann. Wir dokumentieren im Folgenden die Erklärung im Wortlaut. – D. Red.

Seit Jahrzehnten leben das israelische und das palästinensische Volk als Nachbarn. Es gäbe viele Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zur gemeinsamen Entwicklung. Stattdessen wird ihr Leben vergiftet durch Krieg und Gewalt, durch Bedrohung und Terror, durch gegenseitigen Hass, Verachtung und Respektlosigkeit.

Das Grundübel ist die seit 1967 andauernde israelische Besetzung palästinensischen Gebiets. Die Besetzung bedeutet Entwürdigung und Entrechtung der Palästinenser. Sie lähmt ihr wirtschaftliches, politisches und soziales Leben. Darüber hinaus verhindert dieses täglich neu erlebte Unrecht einen friedlichen Ausgleich des alten Unrechts, das den Palästinensern mit der Vertreibung von 1948 angetan wurde. All dies treibt die Spirale der Gewalt an. Es ist an der Zeit, diese Spirale zu durchbrechen und einer dauerhaften Friedenslösung den Weg zu bereiten, die

– dem palästinensischen Volk ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht,

– beiden Nationen die Existenz in international anerkannten Grenzen sichert,

– die gesamte Region befriedet und dadurch die ganze Erde friedlicher und sicherer werden lässt.

In beiden Gesellschaften, der israelischen wie der palästinensischen, gibt es seit langem Stimmen für Verständigung; die „Genfer Vereinbarung“ ist dafür wegweisend. Diese Stimmen brauchen Unterstützung.

Nur wenig Unterstützung kommt jedoch aus Deutschland. Das hat seinen Grund: Vor 61 Jahren endete mit der Niederlage Nazi-Deutschlands der unter Führung von Deutschen begangene Massenmord an den Juden Europas. Scham und Trauer über dieses Verbrechen lässt viele Menschen zur Politik des jüdischen Staats Israel schweigen. Aber dieses Schweigen ermöglicht neues Unrecht.

Um in diese erstarrte Situation Bewegung zu bringen, haben wir, Jüdinnen und Juden aus Deutschland, als Erstunterzeichnende diese Erklärung auf den Weg gebracht. Denn wir sehen mit Entsetzen, wie der mit so großen Hoffnungen gegründete Staat Israel in einer Sackgasse der Gewalt feststeckt. Wir fordern die deutsche Regierung auf, mit der Europäischen Union

– die israelische Besatzungspolitik nicht länger zu tolerieren,

– kurzfristig den Boykott der Palästinensischen Autonomiebehörde zu beenden,

– endlich die Verwirklichung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ernsthaft anzustreben, in Gaza und dem gesamten 1967 besetzten Westjordanland einschließlich Ost- Jerusalems, mit voller Souveränität und freiem Verkehr.

Damit wird eine Sicherheitsregelung für die Staaten der Region zu verbinden sein, besonders für das sich bedroht fühlende Israel, ebenso wie für seine Nachbarstaaten. Fragen des Rückkehrrechts der von Israel 1948 vertriebenen Palästinenser können einvernehmlich gelöst werden, wenn Israel als Zeichen der Versöhnungsbereitschaft die Vertreibung als Unrecht benennt. Der Status Jerusalems als Doppelhauptstadt wird zu klären sein. Ein Vorschlag der Arabischen Liga zur Einigung mit Israel liegt vor. Der Frieden wäre greifbar nahe.

„Was Dir verhasst ist, tu Deinem Nächsten nicht an.“ So fasste vor zweitausend Jahren Rabbi Hillel das Wesen des Judentums zusammen. Das sollte auch heute der Leitfaden menschlichen Handelns sein – auch in der Politik.

Bitte unterstützen Sie mit Ihrer Unterschrift diese Erklärung, oder tragen Sie sich ein auf www.schalom5767.de.

Jüdische Erstunterzeichnende: Vera Ansbach (Berlin), Ursula Ansbach (Berlin), John Attfield (Geschäftsführer, Buchholz), Dr. Hanna Behrend (Historikerin, Berlin), Dr. Friedel Beier (Rechtsanwältin, Berlin), Edna Bejarano (Sängerin, Hamburg), Esther Bejarano (Sängerin, Hamburg), Joram Bejarano (Musiker, Hamburg), Susan Berger (Berlin), Jutta Bergt (Rentnerin, Weil am Rhein), Judith Bernstein (München), Stacey Blatt (Duisburg), Sharon Blumenthal (Juristin, Köln), Prof. Dr. Y. Michal Bodemann (Soziologe, Berlin/Toronto), Iris Borchardt-Hefets (Biologin, Berlin), Marion Brasch (Journalistin, Berlin), Prof. Dr. Almut Sh. Bruckstein (Philosophin, Berlin), Tsafrir Cohen (Journalist, Berlin), Gerty Colden (Rentnerin, Berlin), Martin Colden (Maler, Berlin), Hilary Coleman (Ärztin und Übersetzerin, Düsseldorf), Ruth Czichon (Berlin), Marianne Degginger (Berlin), Prof. Dr. Wolfgang Edelstein (Bildungsforscher, Berlin), Ursula Epstein (Musikpädagogin, Aachen), Erica Fischer (Schriftstellerin, Berlin), Alfred Fleischhacker (Journalist, Berlin), Dr. Michael Fleischhacker (Biologe, Berlin), Bettina Fraenkel (Behindertenpädagogin, Berlin), Ruben Frankenstein (Lehrbeauftragter und Publizist, Freiburg), Ruth Fruchtman (Autorin, Berlin), Kurt Goldstein (Ehrenvorsitzender Internationales Auschwitz-Komitee, Berlin), Werner Goldstein (Journalist, Berlin), Harri Grünberg (Politologe, Berlin), Kurt Gutmann (Berlin), Hella Händler (Berlin), Werner Händler (Berlin), Doreet Harten (Kuratorin, Berlin), Michal Kaiser-Livneh (Psychotherapeutin, Berlin), Schira Kaiser (Studentin, Berlin), Dr. Inge Lammel (Autorin, Berlin), Dr. Kate Leiterer (Biologin, Berlin), Angelika Levi (Regisseurin, Berlin), Gabriel Lévy (Psychologe, München), Dr. Oswald LeWinter (Autor, Seligenstadt), Dr. Erika Lifsches (Ärztin, Mühlheim/Ruhr), Dr. Edith Lutz (Lehrerin, Köln), Petra Mendelsohn (Bibliothekarin, Berlin), Abraham Melzer (Verleger, Neu-Isenburg), Michael Moos (Rechtsanwalt, Freiburg), Gerhard Moss (St. Peter-Ording), Deborah Philips (freie Künstlerin, Berlin), Margalith Pozniak (Zahntechnikerin, Hamburg), Sara Reifenberg (Rentnerin, Berlin), Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (Informatik, Berlin), Michael Riese (Lehrer, Alsfeld), Dr. Ruth Rosenberg (Tierärztin, München), Rafi Rothenberg (Kameramann, Köln), Ruth Rürup-Braun (Innenarchitektin, Karlsruhe), Dr. Sonja Sager (Juristin, Berlin), Shelly Steinberg (Studentin, München), Dr. Klaus Sternberg (Lehrender, Berlin), Dr. Maria Striewe (Ärztin, Neuss), Richard Szklorz (Journalist, Berlin), Prof. Dr. Jochanan Trilse-Finkelstein (Germanist, Berlin), Prof. Dr. Ernst Tugendhat (Philosoph, Tübingen), Nora van der Walde (Lehrerin, Buchholz), Prof. Dr. Rolf Verleger (Psychologe, Lübeck), Mordechaj Wejnryb (Rentner, Berlin), Dr. Susan Winnett (Literaturwissenschaftlerin, Hamburg), Dr. Andrea Zielinski (Anthropologin, Hamburg)


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