Teile und Herrsche
Das AsylbLG als Versuchslabor: Wie rechtspopulistische Politik praktisch wird
Die Einführung einer Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz für Geflüchtete wird momentan breit diskutiert. Eine europaweite Ausschreibung hat begonnen, die Ampelkoalition hat sich am letzten Wochenende auf eine Gesetzesänderung verständigt, in den Kommunen wird das Thema medienwirksam auf die Tagesordnungen der Gremien gesetzt. Die Bezahlkarte zeigt beispielhaft, wie es gelingen kann, eine rechtspopulistische Idee zum Mainstream zu machen. In einer ganz großen Koalition beteiligen sich mittlerweile fast alle daran, wenn es darum geht, Soziale Rechte für Nicht-Deutsche – nicht nur im AsylbLG – einzuschränken und Diskriminierungen auszuweiten. Eine zentrale Rolle in diesem Prozess spielt das Gutachten des Konstanzer Juristen Daniel Thym.
Das Asylbewerberleistungsgesetz und die Bezahlkarte dienen in erster Linie als symbolisch aufgeladenes Versuchslabor, in dem die Instrumente getestet werden können. Doch längst geht es um mehr: Rechtsextremist*innen, Neoliberale, Konservative und Linksnationale üben den Schulterschluss, um die Ideologie der Ungleichheit auch an anderen Stellen in die Praxis zu überführen; Sozialdemokrat*innen und Grüne haben dem wenig entgegen zu setzen, die Linke ist zu schwach. Dies betrifft alle möglichen Bereiche: vom Asylbewerberleistungsgesetz über das Bürger*innengeld bis zur (noch nicht mal verabschiedeten) Kindergrundsicherung – bei allem schwingt mehr oder minder offen ein rassistisches Narrativ mit. Die Rechtsextremist*innen sind schon in der Opposition überaus erfolgreich. Um es anders zu sagen: „AfD“ wirkt, die rohe Bürgerlichkeit feiert fröhliche Urständ‘.
… Hier geht es weiter:
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V. Text als pdf
Verfassungsfeinde
Verfassungsfeinde finden sich nicht nur bei der AFD, sondern auch in der Regierung. Fürchten müssen sich Geflüchtete auch vor der neuen Merz-CDU und ihrem Grundsatzprogramm, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine völlige Abschaffung des Asylgrundrechts vorsieht.
Erleichtert stellen wir fest, dass die Zivilgesellschaft lebt und gegen die Pläne von hochrangigen AfD-Politiker:innen, Neonazis und finanzstarken Unternehmern zur Vertreibung von Millionen von Menschen auf die Straße geht: Kein Tag vergeht, an dem nicht Tausende in Deutschland ihr Entsetzen über diese Vertreibungspläne zum Ausdruck bringen, die das Recherchenetzwerk „Correctiv“ aufgedeckt hat: „Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet.“
Der Protest wird von der Politik aufgegriffen: Sämtliche demokratische Parteien im Bundestag – von der Linken bis zur CDU/CSU – haben das rechtsextreme Geheimtreffen in Potsdam verurteilt. Die CDU hat Mitgliedern der Werte-Union, die an dem Treffen teilnahmen, Parteiausschlussverfahren angekündigt. Für den kommenden Samstag, 14 Uhr, haben sich Ministerpräsident Stephan Weil und Alt-Bundespräsident Christian Wulff, der evangelische Landesbischof Ralf Meister und die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi angekündigt, um „ein starkes Zeichen gegen Rechts“ zu setzen. Auch die konservative Presse bezieht Stellung: Detailliert nimmt der rechte „Focus“ die Verharmlosungs- und Rechtfertigungsversuche der Nazis um Kubitschek, und Sellner auseinander (auf deren Traktate jüngst auch Alice Weidel rekurrierte) und empört sich über „die irre Rechtspropaganda„.
Es hat fast den Anschein, als könnten wir uns bei der Verteidigung von Freiheits- und Menschenrechten auf die demokratischen Parteien im Bundestag verlassen – hätten wir nicht in den vergangenen Wochen und Monaten eine politische Debatte um geflüchtete Menschen erleben müssen, in der immer mehr Vertreter:innen demokratischer Parteien sich in ihrer Diktion auf die AFD zu bewegten und deren Inhalte übernahmen: Wurde die AFD 2016 noch für ihre Forderung nach einem Einsatz von Schusswaffen an der Grenze einhellig als verfassungsfeindliche Partei gebrandmarkt, wurden 2023 Forderungen nach einer „gewaltsamen Zurückweisung an der Grenze“ (Jens Spahn) plötzlich salonfähig. Statt von Schutzsuchenden war in der öffentlichen Debatte nur noch von „irregulärer Migration“ die Rede. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz führte die Debatte über Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl der in Deutschland Schutz suchenden Menschen in einem Duktus, der als Anbiederung an den rechten Zeitgeist verstanden werden muss: Mit seinem populistischen Vorstoß via Spiegel („Wir müssen endlich in großem Stil abschieben„) heizte Bundeskanzler Olaf Scholz in der Tradition eines Gerhard Schröder, der 1997 ähnlich agierte („Kriminelle Ausländer raus, und zwar schnell„) das rassistische Klima in Deutschland selbst ordentlich an und trug so aktiv mit zu einer Diskursverschiebung nach rechts bei. Eine ganze Reihe der diskutierten und teilweise schon beschlossenen Maßnahmen und Gesetzesänderungen bewegt sich nicht mehr im demokratischen Rechtsrahmen, sondern schränkt die Grund- und Menschenrechte massiv und in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise ein:
- Das gestern in erster Lesung verabschiedete, euphemistisch „Rückführungsverbesserungsgesetz“ titulierte, Gesetz zur Verschärfung der Abschiebungspraxis enthält eine Reihe von aus menschenrechtlicher Sicht inakzeptablen Zumutungen: So wird die Verlängerung des sog. „Ausreisegewahrsams“ von 10 auf 28 Tage von Fachleuten für verfassungswidrig gehalten. Hierbei geht es um nichts weniger als einen dramatischen Grundrechtseingriff – den Freiheitsentzug für Menschen, die nichts verbrochen haben. Selbst Bundesjustizminister Buschmann hat „verfassungsrechtliche Bedenken“ erhoben. Gleichwohl hält die Bundesregierung an ihrem Vorhaben fest.
- Auch beim alle Jahre wieder populistisch ausgeschlachteten Thema Sozialleistungen ist die Bundesregierung im Begriff, Verfassungsrecht bewusst zu missachten: Sie will den Zeitraum von Leistungskürzungen für Asylsuchende und Geduldete von 18 auf 36 Monate verlängern. Mit seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ins Stammbuch geschrieben, dass Leistungskürzungen nur für einen kurzen Zeitraum und nur dann zulässig sind, wenn nachvollziehbar berechnet und nachgewiesen werden kann, dass tatsächlich in der ersten Zeit ein geringerer Bedarf besteht. Eine solche Begründung fehlt nach wie vor, obwohl das Bundesverfassungsgericht am 19.10.2022 seine Rechtsprechung nochmals bekräftigt und damit eine weitere verfassungswidrige Kürzung des Gesetzgebers aufgehoben hat. Diesen höchstrichterlichen Beschluss hat die Bundesregierung bis heute – fast anderthalb Jahre später – skandalöserweise noch immer nicht gesetzlich umgesetzt. Ungerührt hält die Bundesregierung dennoch an ihrem neuen Kürzungsvorhaben fest. Auch das insoweit eindeutige Gutachten des Gesetzes- und Beratungsdienstes des Bundestags, das die Verfassungswidrigkeit dieses Vorhabens benennt und detailliert begründet, führt nicht zu einer Änderung des vorliegenden Gesetzesentwurfs: Sehenden Auges begeht die Ampel hier Verfassungsbruch, wie Thomas Hohlfeld (Linke) in seinem Vermerk zu dem Gutachten belegt.
- Mit der Zustimmung zur GEAS-Verordnung hat die Bundesregierung 2023 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik den Tabubruch begangen, eine Abschiebung von Menschen, die in Europa Schutz suchen, auch dann für zulässig zu erklären, wenn der als „sicher“ definierte Drittstaat weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat. Damit wird die jetzt schon zu beklagende Praxis von massenhaften Pushbacks durch viele europäische Staaten gedeckt und ermöglicht. Ab 2026 werden wir „Grenzasylverfahren“ in geschlossenen Lagern erleben, in denen die Betroffenen nur eingeschränkte Rechte haben und von Beratungsangeboten weitgehend ausgeschlossen sind.
Der CDU geht das alles nicht weit genug: Es sind nicht mehr nur einzelne Scharfmacher wie Thorsten Frei oder Jens Spahn, die Schutzsuchende an den Grenzen zurückweisen und das Asylrecht abschaffen wollen: Am Montag hat der Vorstand der CDU den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm verabschiedet. Im Bereich Flüchtlingspolitik wird nicht weniger als die komplette Abschaffung des Asylrechts in Deutschland gefordert, quasi eine 1:1 Kopie des Ruanda-Modells der Tories in Großbritannien. Im Programmentwurf heißt es:
Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen.
Der öffentliche Aufschrei ist bislang ausgeblieben. Dabei ist auch dieser Programmentwurf ein offenkundiger Angriff auf unsere Verfassung. Noch ist dieser Programmentwurf nicht beschlossen: Das Programm wird von der CDU im Februar und März auf sechs Regionalkonferenzen in Mainz, Hannover, Chemnitz, Köln, Stuttgart und Berlin vorgestellt und diskutiert werden. Bislang ist die Tragweite dieses Entwurfs auch noch nirgends richtig angekommen. Ein Anlass für öffentlichen Protest und Demonstrationen sind solche verfassungsfeindlichen Pläne der CDU allemal.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Röpkestr. 12, 30173 Hannover
Die Begriff »irreguläre Migration« und wie er zur Täuschung eingesetzt wird
Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Kenan Ayaz
Die Bundesanwaltschaft hat vor dem OLG Hamburg Anklage nach §129b StGB gegen Kenan Ayaz erhoben. Eine Kampagne mobilisiert für die Freilassung des aus Zypern ausgelieferten kurdischen Aktivisten, der bereits in der Türkei zwölf Jahre im Gefängnis war.
Kenan Ayaz: Prozessbeginn 3. November in Hamburg
Der Prozess gegen Kenan Ayaz beginnt am 3. November vor dem Oberlandesgericht Hamburg. Das Bündnis Free Kenan ruft zu Solidaritätskundgebungen auf.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/kenan-ayaz-prozessbeginn-3-november-in-hamburg-39484
Vier Jahre nach der Tötung von Aman A. durch die Polizei – Flüchtlingsrat fordert Aufklärung
Stellungnahme: Niedersächsische Landesregierung verbreitet antiziganistische Bilder
Die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, und die Niedersächsische Justizministerin, Dr. Kathrin Wahlmann, haben am 26.06.2023 das dritte gemeinsame Lagebild von Polizei und Justiz zur „Clankriminalität in Niedersachsen“ vorgestellt. In diesem Lagebericht wird auf eine angebliche „kriminelle Großfamilie aus der Ethnie der Roma“ verwiesen.
Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus MIA lehnt den stigmatisierenden Begriff „Clankriminalität“ ausdrücklich ab. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein gefährlicher, rechtspopulistischer Diskurs, der seit Jahren verstärkt durch mediale Berichterstattung, Politik und Sicherheitsbehörden für reißerische Stimmungsmache gegen ganze Bevölkerungsgruppen verwendet wird.
Das Lagebild zeigt, dass die Straftaten, die der „Clankriminalität“ zugeordnet werden, ebenso wie im vergangenen Jahr weniger als ein Prozent der gesamten polizeilich erfassten Kriminalität ausmachen. Hinzu kommt, dass in die Statistik zur Clankriminalität auch Ordnungswidrigkeiten, Bagatelldelikte und kleinere Vergehen einfließen. Diese werden aufgebauscht, der „Clankriminalität“ zugeordnet und verfälschen somit den Blick auf die Realität.
In der Einleitung des Lageberichts wird „Clankriminalität“ auf Basis ethnischer Herkunft definiert. Es wird jedoch behauptet, dass „ethnische“ Daten nicht erfasst werden: „Darüber hinaus werden keine Daten zu ethnischen Zugehörigkeiten oder Verkehrsdelikten erfasst“.
In der Einführung steht allerdings Folgendes:
„Massendelikte im Bereich Eigentums- und Vermögenskriminalität durch Großfamilie aus der Ethnie der Roma im LG-Bezirk Hannover.“
Dies ist kein Einzelfall. 2017 wurde die Kategorie „Sinti und Roma“ in die Berliner Kriminalstatistik eingefügt. Straftäter_innen werden der Minderheit der Sinti und Roma zugeordnet. Diese Kategorie musste nach einer Kritik des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma abgeschafft werden. Der Zentralrat bemängelte zu Recht, dass in der Statistik von 2017 Sinti und Roma „als einzige Gruppe pauschal mit Kriminalität in Verbindung“ gebracht worden seien. Auch dies ist ein Beleg für die „Ethnisierung“ von Straftaten, die nicht zu einer effektiveren Bekämpfung von Verbrechen führt, sondern zur Verbreitung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten beiträgt. Denn das Lagebild erzeugt fälschlicherweise den Eindruck, dass organisierte Kriminalität überwiegend von Familien mit Migrationsbiografie verübt wird. Auch Sinti und Roma, die seit Generationen bzw. seit Jahrhunderten in Deutschland leben, geraten in den Fokus.
Die Folgen einer solchen Kriminalisierung sind in Niedersachsen – aber nicht nur dort – sichtbar. Es kommt zu einem unverhältnismäßigen Vorgehen von Polizeibeamt_innen gegenüber Angehörigen der Minderheit der Sinti und Roma, dem sogenannten Racial Profiling. Angehörige der Sinti und Roma geraten so häufig unter Generalverdacht.
Das ist ein Verstoß gegen den Grundsatz, der besagt, dass im demokratischen Rechtsstaat nur jeder Einzelne die Verantwortung für seine Taten trägt. „Ethnische Herkunft“ und „Volkszugehörigkeit“ sind nach datenschutzrechtlichen Grundsätzen sogenannte „besondere Kategorien“ von personenbezogenen Daten. Sie dürfen wegen der offensichtlichen Missbrauchsgefahr nur unter sehr hohen Voraussetzungen erhoben werden. Diese Voraussetzungen sind, dass die Polizei ohne die Erhebung dieser Daten ihre Polizeiarbeit gar nicht wahrnehmen oder sie dadurch Leben retten kann. Das ist in diesem Fall nicht gegeben und die ethnische Datenerhebung deswegen rechtswidrig.
Der rassistische Begriff „Clankriminalität“ dient lediglich dazu, Minderheiten zu kriminalisieren, unter Generalverdacht zu stellen und rechtspopulistische Gemüter in der Gesellschaft zu bedienen. Die Verwendung der Kategorie „Clankriminalität“ führt in der Praxis dazu, dass Bürger_innen diskriminiert werden. Dies ist ein flagranter Verstoß gegen das Grundgesetz. MIA fordert die Aufhebung dieser diskriminierenden Kategorie.
Pressekontakt: presse@mia-bund.de
Telefonnummer: 030 62 86 09 37
Melde- und Informationsstelle Antiziganismus
Bundesgeschäftsstelle|Prinzenstr. 84.1|10969 Berlin
ein Artikel aus:
https://www.medico.de/ausgeliefert-19028
Die Taliban entscheiden mit, wer aus der Türkei nach Afghanistan abgeschoben wird.
Nachdem die Türkei zunächst an der syrischen Grenze auf fast 900 Kilometern eine hochaufgerüstete Grenzanlage errichtete, gibt es inzwischen auch an der Grenze zum Iran – der Fluchtroute aus Afghanistan – eine drei Meter hohe Mauer. Finanziert nach Angaben des türkischen Migrationsministeriums zum Teil von der Europäischen Union.
Wem trotz aller Hindernisse die Flucht bis in die Türkei gelingt, muss inzwischen mit einer Auslieferung an die Taliban rechnen. Der Generaldirektor für die Bekämpfung irregulärer Migration und Abschiebungsangelegenheiten, Ramazan Seçilmen, erklärte im Dezember 2022, dass in jenem Jahr 61.617 Menschen nach Afghanistan abgeschoben worden seien.
Einer, der abgeschoben wurde, ist Mohammad Javad Jafari. Der 24-jährige Afghane war 2020 in die Türkei geflohen, um sich weiter nach Europa durchzuschlagen. Jafari ist Angehöriger der ethnischen Minderheit der Hazara, die seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan noch einmal mehr in Lebensgefahr sind als zuvor schon. Als er versuchte, von der Türkei aus nach Griechenland zu gelangen, wurde er von der türkischen Polizei gefasst und in das Abschiebegefängnis in Bursa am Marmarameer gebracht – ein weiterer von der EU mitfinanzierter Bau. Die Gefängniswärter in Bursa arrangierten einen Videocall nach Afghanistan und führten Jafari den Taliban vor. Innerhalb weniger Minuten hätten diese seiner Abschiebung nach Afghanistan zugestimmt, erzählt Jafari, vermutlich wegen seines äußeren Erscheinungsbildes, das ihn als Hazara erkennbar mache. Die Taliban sind nicht nur online in der Türkei präsent. Anwält:innen berichten, dass „afghanische Diplomaten“ systematisch die Abschiebegefängnisse in der Türkei besuchen.
Die Bundesregierung hat nun zwar ein Aufnahmeprogramm für „besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen“ aufgesetzt, dies gilt jedoch nicht für Menschen, die es bereits in Drittstaaten wie die Türkei geschafft haben. Und selbst wenn afghanische Flüchtlinge aus eigener Kraft in die EU gelangen, haben sie kaum eine Chance auf Sicherheit: Im Zuge des EU-Türkei-Deals wurde die Türkei als „sicherer Drittstaat“ deklariert. Somit können afghanische Flüchtlinge ohne inhaltliche Prüfung ihres Asylantrags aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden – und von dort weiter nach Afghanistan.
Mahnwachen für Julian Assange finden unvermindert statt
https://www.nachdenkseiten.de/?p=92686
Banner des Arbeitskreis Asyl in Cuxhaven
Gemeinsame Presseerklärung vom 10.11.2022
PRO ASYL und Landesflüchtlingsräte fordern die
Einbeziehung von Flüchtlingen in das Bürgergeldgesetz
Anlässlich der für heute geplanten Verabschiedung des Bürgergeldgesetzes im Bundestag legen PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Berlin eine umfassende Analyse des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, die zeigt:
Das Sondergesetz für Asylsuchende ist diskriminierend und gehört abgeschafft.
Mit dem geplanten Bürgergeldgesetz bekommt Hartz IV einen neuen Namen. Die Beträge werden inflationsbedingt angehoben und es soll Erleichterungen bei Freibeträgen und Sanktionen geben. Etwas Wesentliches ändert sich nicht: Viele Geflüchtete erhalten weiterhin keine regulären Sozialleistungen. Die diskriminierenden Ausschlüsse für Asylsuchende und Geduldete aus Hartz IV werden unverändert in das Bürgergeldgesetz übernommen (§ 7 Abs. 1 SGB II) – sie werden weiterhin auf das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) verwiesen.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle in Deutschland lebenden Menschen gleichermaßen gilt, und dass dieses Grundrecht nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf (BVerfG vom 18.07.2012). Die Ampel-Koalition hält dennoch am diskriminierenden AsylbLG fest.
„Hier wurde eine große Chance vertan, mit Einführung des Bürgergeldes alle Geflüchtete endlich in das normale Sozialsystem zu integrieren. Das Festhalten am Asylbewerberleistungsgesetz mit seinem gekürzten Existenzminimum für Geflüchtete, dem Entzug von Bargeld und der Versorgung durch Sachleistungen ist eine bewusste Demütigung und Entmündigung von schutzsuchenden Personen in Deutschland“, so Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin.
Auch Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL, kritisiert: „Ein solches diskriminierendes Sondergesetz ist aus der Zeit gefallen, das Asylbewerberleistungsgesetz gehört endlich abgeschafft. Ein menschenwürdiges und möglichst selbstbestimmtes Leben sollte allen Geflüchteten von Anfang an in Deutschland ermöglicht werden. Die völlig unzureichenden Leistungen in dem Gesetz sowie weitere ausgrenzenden Maßnahmen wie das Arbeitsverbot oder die Unterbringung in Sammelunterkünften erschweren Schutzsuchenden unnötigerweise das Ankommen.“
Das AsylbLG sieht Sachleistungen für Essen, Kleidung und Unterkunft, eine menschenrechtswidrige Minimalmedizin, im Fall von Geldleistungen generell gekürzte Regelsätze für Erwachsene und Kinder, eine nochmalige 10%ige Kürzung für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften sowie Sanktionen mit Kürzungen der Regelleistungen um weit mehr als die Hälfte vor.
PRO ASYL legt heute gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Berlin anlässlich der Verabschiedung des Bürgergeldgesetzes die umfassende Analyse „Das Asylbewerberleistungsgesetz – Einschränkungen des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für Geflüchtete. Bedarfsdeckung und Regelsätze nach Asylbewerberleistungsgesetz, Hartz IV und Bürgergeldgesetz“ vor.
Die Analyse zum download: www.fluechtlingsrat-berlin.de/doku_asylblg_verfassung
Darin werden im Detail Historie und Zielsetzung des Gesetzes sowie die Methodik zur Ermittlung der Hartz-IV-Regelsätze (künftig „Bürgergeld“ genannt) und der Leistungssätze des AsylbLG untersucht. Besonders problematisch tritt dabei das angeblich geringere Existenzminimum geflüchteter Menschen nach dem AsylbLG zutage. Bei der scheinbar objektiven empirischen „Bedarfsermittlung“ zeigen sich gravierende Mängel. Sehr viele Bedarfe von Asylsuchenden lässt der Gesetzgeber ohne nachvollziehbare Begründung einfach unter den Tisch fallen.
Das Gesetz steht derzeit erneut beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf dem Prüfstand (Aktenzeichen 1 BvL 3/21 und 1 BvL 5/21).
PRO ASYL und alle Landesflüchtlingsräte fordern die Abschaffung des diskriminierenden Sondergesetzes und die Einbeziehung aller Geflüchteten in das Bürgergeldgesetz.
Kontakt für Presseanfragen:
Flüchtlingsrat Berlin: Georg Classen, georg.classen@gmx.net
PRO ASYL: presse@proasyl.de, 069-242314-30
Kriminalisierung von Geflüchteten erreicht neue Eskalationsstufe:
Junge Frau muss sich in Griechenland wegen versuchtem Selbstmord vor Gericht verantworten
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Die ignorierte Invasion
Die Türkei, enger NATO-Partner Deutschlands, setzt ihren Angriffskrieg gegen kurdische Gebiete in Nordsyrien fort und hält an der Besatzung größerer Regionen des Landes fest.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8860
Sehr geehrte Pressevertreter*innen,
Anbei finden Sie eine Pressemitteilung zum heute erneut verschobenen Prozess in zweiter Instanz gegen zwei Flüchtlinge, die Opfer eines versuchten illegalen Pushbacks in der Ägäis wurden. Anstatt die griechische Küstenwache zur Rechenschaft zu ziehen, wurden beide in erster Instanz als mutmaßliche Schlepper zu 50 Jahren Haft verurteilt. Heute hätte nach dem bereits am 18. März 2022 vertagtem Prozesstermin schließlich die Berufungsverhandlung auf der Insel Lesbos stattfinden sollen, stattdessen wurde sie erneut verschoben auf den 8. Dezember 2022.
Presseerklärung_Amir und Razuli_7. Aprill 2022
Presseerklärung, 18. März 2022
Berufungsprozess gegen Amir und Razuli nach zwei Tagen Wartezeit bis zum 7. April 2022
#FreeAmirAndRazuli
Das Berufungsverfahren gegen die beiden jungen afghanischen Männer, die in erster Instanz
wegen „Beihilfe zur illegalen Einreise“ und „illegaler Einreise“ nach Griechenland verurteilt
wurden, wurde pausiert. Die Angeklagten Amir Zahiri (27) und Akif Razuli (24) wurden aus
den Gefängnissen von Chios bzw. Serres nach Mytilene auf Lesbos gebracht und mussten
dort an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stunden lang mit Handschellen im Gerichtssaal
warten und anderen Prozessen zusehen, während sie auf ihren eigenen warteten. Sie erhielten
keinerlei Informationen darüber, ob und wann der Prozess stattfinden würde. Dieses
Vorgehen verstösst gegen die griechische Strafprozessordnung. Schließlich wurde das
Verfahren heute, am 18. März, um 14.30 Uhr eröffnet – nur um unmittelbar danach pausiert zu
werden. Auch alle Zeug_innen, darunter Amirs Frau und ihre beiden Kinder sowie die
internationalen Prozessbeobachter_innen, die aus verschiedenen europäischen Ländern und
dem griechischen Festland nach Mytilene gereist waren, mussten ebenfalls
erzwungenermaßen vor und im Gerichtsgebäude ausharren. Drei Mitglieder des Europäischen
Parlaments waren gekommen, um als Zeug_innen auszusagen und den Prozess zu beobachten,
ebenso wie der Seenotretter Iasonas Apostolopoulos.
Der Prozess wird in 20 Tagen, am 7. April 2022, fortgesetzt. Damit setzt sich die Kette der
Ungerechtigkeit fort, mit der Amir und Razuli in den letzten Jahren konfrontiert waren: Amir
und Razuli wurden am 12. März 2020 willkürlich verhaftet, für sieben Monate in
Untersuchungshaft gehalten und im September 2020 ohne jegliche Beweise zu 50 Jahren Haft
verurteilt. Nun wurde ihr Berufungsverfahren unterbrochene.
Ein griechische Prozessbeobachterin von Aegean Migrant Solidarity erklärte: „Die letzten
zwei Tage waren sehr schwierig, vor allem für die Menschen, die schon so lange ohne
Beweise inhaftiert sind. In diesen zwei Tagen wusste niemand, ob der Prozess stattfinden wird
oder nicht. Das Gericht hat beschlossen, den Prozess heute zu starten und am 7. April 2022
fortzusetzen. Sie mussten anerkennen, dass der Prozess zu einer angemessenen Tageszeit
beginnen muss, um durchgeführt werden zu können. Lasst uns alle am 7. April vor Ort sein!“
Marco Aparicio, Prozessbeobachter des spanischen Observatori DESC (ESCR Observatory)
bemerkte: „Das Urteil zu verschieben bedeutet, dass die Angeklagten nun noch länger in
einem elenden Zustand verharren müssen. Amir und Razuli, ihre Angehörigen und
Freund:innen haben das Recht, endlich über ihre Zukunft Bescheid zu wissen. Dieser Prozess
zeigt in der Tat, dass Europa dazu benutzt wird, nicht die Verursacher des Leids zu
kriminalisieren, sondern die Menschen, die leiden.“
Lorraine Leete vom Legal Centre Lesvos, welches die Verteidigung von Akif Razuli
übernommen hat, erklärt: „Amir und Razuli hätten niemals verhaftet, geschweige denn
verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden dürfen. Es gibt keine Beweise dafür, dass sie das
Verbrechen begangen haben, das ihnen vorgeworfen wird. Auch wenn Amir und Razuli die
zwei Jahre, die sie im Gefängnis verbracht haben, nie zurückbekommen werden, hoffen wir,
dass dieser Justizirrtum bei der Fortsetzung des Berufungsverfahrens im nächsten Monat
korrigiert wird.“
Das Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict
Solidarity und Deportation Monitoring Aegean haben den Prozess aufmerksam verfolgt. Wir
werden uns weiterhin mit den Angeklagten solidarisieren, egal wie lange es dauern wird, bis
Amir und Razuli Gerechtigkeit widerfährt.
Pressekontakte:
Marion Bouchetel
Legal Centre Lesvos
marion@legalcentrelesvos.org
Phone: +30 697 761 9003
Kim Schneider
You can’t evict Solidarity
cantevictsolidarity@riseup.net
Phone: +49 152 19255205
Das Kulturforum Deutschland – Türkei
Zum Krieg Putins und Erdogans
Wir brauchen eure Unterstützung für Inhaftierte und Angeklagte aus
Protesten gegen die unmenschliche und rassistische Politik an den EU-Außengrenzen
*Der Brand in Moria und die Moria 6*
Moria ist bis auf das Letzte niedergebrannt. Die Brände, die am 8.
September das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos zerstörten,
rückten die unmenschliche und rassistische Politik der EU und des
griechischen Staates an den europäischen Grenzen in den Blick der
Weltöffentlichkeit. Die aufgebrachte Reaktion des griechischen Staates
auf diesen verzweifelten und zugleich selbstermächtigenden Widerstand
der Menschen, die jahrelang in dem überfüllten Lager unter
menschenverachtenden Bedingungen leben und leiden mussten, bedeutet
erneut noch mehr Repression und Kriminalisierung.
Ein neues geschlossenes Lager riesigen Ausmaßes wurde aus dem Boden
gestampft und die Bewohner*innen von Moria wurden gezwungen, sich in die
katastrophalen Lebensbedingungen dieses Lagers zu begeben. Zudem wurden
nach dem Brand sechs Menschen willkürlich festgenommen und angeklagt
(https://cantevictsolidarity.noblogs.org/post/category/brand-in-moria-2020/)
. Diese sechs sollen nun als Sündenböcke für die todbringende Politik an
der europäischen Außengrenze herhalten. Fünf von ihnen sind noch
minderjährig, der sechste nur knapp volljährig. Die Staatsanwaltschaft
konnte keinerlei Beweise gegen sie vorbringen etwas mit dem Brand zu tun
zu haben und hat sie dennoch in Untersuchungshaft genommen. Nur eine
einzige Person erhob Vorwürfe gegen die Festgenommenen, wobei davon
auszugehen ist, dass sie sich davon eigene Vorteile erhofft. Im
Gefängnis erwarten die sechs geflüchteten Jugendlichen nun ihren Prozess.
Zahlreiche weitere Fälle haben bisher gezeigt, dass der griechische
Staat nicht davor zurückschreckt Geflüchtete, die für Proteste
verantwortlich gemacht werden, ohne Beweise zu langen Haftstrafen zu
verurteilen. So wurden im Sommer 2017 bereits die Moria 35 nach großen
Protesten im Lager Moria willkürlich aufgrund von racial profiling
verhaftet und neun Monate später im obersten Gericht von Chios
verurteilt. In ähnlichen Fällen, wie dem der Festnahmen der Moria 8,
wurden die Betroffenen zwar schließlich freigesprochen, aber zuvor
monatelang in Untersuchungshaft festgehalten.
*Proteste auf Chios und die Vial 16*
Auch auf der Insel Chios gab es kürzlich einen ähnlichen Fall: Eine
47-jährige irakische Frau wurde im April 2020 mit Corona-Verdacht ins
Krankenhaus eingeliefert, dann aber zurück in das Hotspot Camp Vial
transferiert, wo sie in Isolation in einem Container starb. Daraufhin
brachen Proteste aus, bei denen Fahrzeuge zu Bruch gingen und Teile des
Camps in Flammen aufgingen. Erneut wurden mindestens zehn Personen
verhaftet und inhaftiert, sechs weitere wurden im April noch von der
Polizei gesucht und sind evtl. mittlerweile auch bereits verhaftet.
(https://cantevictsolidarity.noblogs.org/post/2020/11/14/chios-freiheit-fur-die-vial-16-unterstutzt-die-gefangenen-nach-den-riots-an-ostern-auf-chios/)
*Wir brauchen eure Unterstützung*
Wir als Antirepressionskampagne „You Can’t Evict Solidarity“ versuchen
die Betroffenen zu unterstützen – mit einer Rechtsvertretung,
Prozessbegleitung und Öffentlichkeitsarbeit. Um die Anwält*innen und die
Gerichtskosten zu finanzieren, benötigen wir dringend Unterstützung!
Widerstand ist kein Verbrechen. Nicht die Geflüchteten sind für das
Sterben an der EU-Außengrenze und die katastrophalen Zustände in den
Lagern verantwortlich. Wir werden nicht hinnehmen, dass sie als
Sündenböcke verurteilt. Unterstützt die Arbeit der solidarischen
Anwält*innen und Unterstützungsstrukturen!
*Wir fordern die sofortige Freilassung aller Gefangenen, die an den
EU-Außengrenzen kriminalisiert werden! *
*Wir fordern die Schließung aller Lager und Gefängnisse! *
*Evakuiert die Inseln! *
*Bewegungsfreiheit für alle! *
*Spenden an: *
Rote Hilfe e.V./ OG Hannover
IBAN: DE42 4306 0967 4007 2383 57
BIC: GENODEM1GLS
GLS-Bank
Verwendungszweck: Can’t Evict Solidarity
Türkei-Asylskandal höher, als von der Bundesregierung bislang zugegeben
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Meldung vom 04. September 2020
In Beantwortung einer Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung am 21.08.2020 eingeräumt, dass die Zahl der Opfer des Türkei-Asylskandals viel höher ist, als von der Bundesregierung bislang zugegeben. Dabei geht es um die Beschlagnahmung von sensiblen Informationen aus Asylakten nach der Festnahme des türkischen Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft, Yilmaz S., durch die türkischen Verfolgungsbehörden.Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vom Vorstand des Flüchtlingsrats beklagt:
„Wir müssen davon ausgehen, dass die Bundesregierung die Zahl der Betroffenen in der Vergangenheit bewusst heruntergespielt hat. Offenkundig sind tausende von Geflüchteten aus der Türkei betroffen. Etliche von ihnen sind weiterhin bedroht. Die Bundesregierung hat ihr Versprechen gebrochen, alle Fakten auf den Tisch zu legen und für den Schutz der Betroffenen und ihrer Familien zu sorgen, die durch das leichtfertige und verantwortungslose Handeln der Behörden in Gefahr geraten sind.“
Zunächst sprach die Bundesregierung von 47 Akten mit 83 betroffenen Personen, die der Anwalt bei seiner Festnahme bei sich getragen hätte. später von 59 Asylanfragen mit 113 Personen. Insgesamt, so die Bundesregierung damals in Vorspiegelung einer exakten Erfassung aller Betroffener, gehe es um 283 Fallakten betroffener Flüchtlinge. Am 24. Januar 2020 erklärte die Bundesregierung dann auf Anfrage der Linken, das BAMF habe unter Bezugnahme auf eine mögliche Bedrohung durch den türkischen Geheimdienst 448 möglicherweise gefährdete Personen informiert (BT-Drs. 19/16811, Frage 11).
Nun ist von „circa 900 Anfragen“ die Rede, welche dem Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft, Yilmaz S., „im Zeitraum von 2017 bis zu seiner Verhaftung im September 2019 von der Deutschen Botschaft Ankara zu Recherchezwecken im Rahmen von Amtshilfeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Verwaltungsgerichte übermittelt worden waren.“ (siehe auch: Bericht der Legal Tribune Online vom 03.09.2020). Am 16. September wird der Prozess gegen Yilmaz S. in Ankara fortgesetzt.
Den Zahlen der Bundesregierung zufolge sind von jeder Anfrage statistisch etwa zwei Personen betroffen. Aus der Anklageschrift gegen Yilmaz S. geht hervor, dass bei dem Anwalt digitales Material zu 2329 Personen gefunden wurde.
Die mangelnde öffentliche Aufklärung über den Umfang der Verfolgungsmaßnahmen in der Türkei hat auch Auswirkungen auf laufende Asylverfahren von Geflüchteten. Zwar führt das Auswärtige Amt keine Recherchen durch Vertrauensanwälte in der Türkei mehr durch. Das ganze Ausmaß der Verfolgung in der Türkei wird aber vom BAMF und einigen Verwaltungsgerichten weiterhin maßlos unterschätzt.
„Wir haben Platz und Raum in unseren Häusern und Herzen. Wir brauchen und wollen keine Abschiebungen im Landkreis Lüchow-Dannenberg!“
Für Rückfragen:
Flüchtlingsrat Niedersachsen, Kai Weber, 0511 8487 9972, kw@nds-fluerat.org
Hannoveranerin seit 10 Monaten unter Ausreiseverbot in der Türkei
Hannoveranerin seit über 10 Monaten unter Ausreiseverbot aus der Türkei
#LeaveNoOneBehind
Die Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL und die Seebrücken-Bewegung legten heute (11.05.2020), um 10 Uhr in einer Pressekonferenz dar, dass es gerade jetzt gilt, niemanden zurückzulassen und Lager zu schließen – ob in Moria oder Halberstadt. Vertreter*innen der Organisationen berichteten von Problemlagen, Maßnahmen und Perspektiven.
- Die Lager in Deutschland müssen aufgelöst werden! Die Landesregierungen müssen jetzt schnell handeln und die langfristige und zukünftige Unterbringung in Wohnungen zu gewährleisten. Sie dürfen nicht weiter auf Massenunterkünfte setzen. Corona zeigt, der Richtungswechsels hin zu einer menschenwürdigen Unterbringung ist längst überfällig und mittlerweile überlebensnotwendig.
- Die Landesregierungen müssen jetzt Strukturen für eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten aus Elendslager aus dem Ausland schaffen! Es darf nicht mehr bei bloßen Willensbekundungen bleiben, sondern aufnahmewillige Städte und Kommunen (sog. „Sichere Häfen“) müssen in die Verhandlungen miteinbezogen und genutzt werden.
- Eine menschenwürdige Aufnahme bedeutet: Apartements, Ferienwohnungen, Hotels und weiterer Leerstand müssen genutzt werden, um das Ansteckungsrisiko zu senken.
- Gesundheitskarten sind für alle auszustellen. Das bedeutet, insbesondere für Menschen, die Asylbewerberleistungen beziehen und nicht krankenversichert sind, für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sowie für erwerbslose EU-Bürger*innen. Auch sie müssen Zugang zum Gesundheitssystem haben.
- Alle Menschen, die sich nach wie vor in Abschiebehaft befinden, sind zu entlassen. In Deutschland befindliche Asylbewerber*innen müssen hier ihr Asylverfahren durchlaufen können.
aus dem Fotobuch: Schöne Aussichten, ein Cuxhavenbuch
erschienen im Jahr 2014
#Wir haben Platz – Aufnahme jetzt!
Neuigkeit zur Petition
Neue Erkenntnisse im Fall Oury Jalloh
R. Schäfer
Liebe Unterstützer*innen,
in dem schlimmen Fall von Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, gibt es neue Erkenntnisse. Ein neues forensisches Gutachten des Rechtsmediziners und Radiologie-Professors Boris Bodelle von der Universitätsklinik Frankfurt hat ergeben, dass Oury Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt worden ist. Ihm wurden dabei unter anderem Schädeldach, Nasenbein, Nasenscheidewand und eine Rippe gebrochen.
Um all das zu vertuschen, ist er vermutlich mit Brandbeschleuniger besprüht worden und deswegen in seiner Zelle verbrannt. Diese Auffassung teilte der Dessauer Staatsanwalt Bittmann und nannte sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der örtlichen Polizei. Kurz darauf aber wurde Bittmann der Fall entzogen und an die Staatsanwaltschaft Halle abgegeben, die dann trotz aller Indizien und Gutachten das Verfahren einstellte! Offensichtlich hat der Dessauer Staatsanwalt Bittmann seine Arbeit zu genau genommen, und um eine Anklage gegen die verdächtigen Polizisten zu verhindern, wurde er von höherer Stelle ruhiggestellt.
Ein unfassbarer Skandal, der wieder einmal zeigt, dass dem Rechtsstaat in Bezug auf Ermittlungen gegen Polizeibeamte und -beamtinnen nicht zu trauen ist.
Deswegen meine Petition. Bitte unterstützt sie, indem ihr sie an Freunde, Bekannten etc. weiterleitet.
https://twitter.com/ChangeGER/status/1188851472194330624
Vielen Dank!
Stade: Über 200 Demonstrant_innen gedenken am Samstag Aman Alizada- sie fordern lückenlose Aufklärung der Tötung
Tod eines jungen Afghanen während Polizeieinsatz in Stade
[aktualisiert am 26. August 2019]
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist betroffen vom Tod des jungen Afghanen Aman A. in einer Flüchtlingsunterkunft in Stade am vergangenen Samstag (17. August 2019). Unser Mitgefühl gilt seinen hinterbliebenen Familienangehörigen und Freund_innen.
„Menschen, denen der Tod des jungen Mannes nahe geht, haben vor dem Haus Trauerkerzen aufgestellt. Neben ihnen liegt eine handbeschriebene Karte: »Wir denken an dich«.“
– Polizei erschießt 19-jährigen Flüchtling, in: Neues Deutschland vom 20. August 2019
Noch am Morgen hatte Aman A. dem Schützenumzug zugesehen und dem Ortsbürgermeister die Hand geschüttelt. Am Samstagabend wurde der 19-Jährige von der Polizei während eines Einsatzes in seiner Unterkunft im Stadtteil Bützfleth erschossen.
Offenbar wurde die Polizei alarmiert, nachdem es zu einem Streit in der von sechs Personen bewohnten Unterkunft gekommen war. Laut Darstellung der Staatsanwaltschaft Stade war die Polizei mit zwei Streifenwagenbesatzungen vor Ort, weil ihr der junge Mann „bereits aus anderen Vorfällen“ bekannt gewesen sei.
„Der 20-jährige Afghane galt als traumatisiert. Wegen seiner psychischen Probleme soll der junge Mann, der die Berufsbildenden Schulen in Stade besucht hat, eine Ausbildung zum Tischler abgebrochen haben. „Er war eine ganze Zeit neben der Spur“, sagt Bützfleths Ortsbürgermeister Sönke Hartlef (CDU). Zuletzt verhielt er sich unauffällig.“
– Tödliche Schüsse in Stade, in: Cuxhavener Nachrichten vom 19. August 2019
Aus noch unklaren Gründen eskalierte der Polizeieinsatz. Die taz berichtet über die Darstellung der Stader Staatsanwaltschaft:
„Vor Ort habe es zu diesem Zeitpunkt „keinen körperlichen Streit“ gegeben. Der 19-Jährige sei nicht ansprechbar gewesen. Die Beamten hätten zunächst Pfefferspray eingesetzt. Da dies keine Wirkung zeigte und der 19-Jährige die Polizisten mit einer Hantelstange aus Eisen attackiert habe, habe einer der Beamten auf ihn geschossen. Das Opfer starb trotz Notarzteinsatzes wenig später.“
– Polizist erschießt Geflüchteten, in: taz vom 19. August 2019
Nach den tödlichen Schüssen der Polizei stellen sich Fragen. War die Polizei über die psychische Erkrankung des jungen Mannes informiert? Wenn ja, kann sie eigentlich nicht überrascht sein, dass der Mann auf den Polizeieinsatz nicht angemessen reagieren würde. Warum gab es bei dem Einsatz in einer Geflüchtetenunterkunft, in der ein Mensch mit psychischen Belastungen lebte, keine andere Lösung, als Aman A. zu erschießen? Auch der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes hinterfragt in der taz das Vorgehen der Polizei.
„Ein Angriff mit einer Hantelstange sei „ganz klar kein Grund, zur Waffe zu greifen“, da man ihr ausweichen könne. Bereits die Tatsache, dass der 19-Jährige nicht auf den Einsatz des Pfeffersprays reagiert habe, sei ein klarer Hinweis, dass man eine Problemperson vor sich habe.“
– Polizist erschießt Geflüchteten, in: taz vom 19. August 2019
Der Kriminologe Christian Pfeiffer zeigt sich in der Süddeutschen Zeitung ebenfalls irritiert über den Polizeieinsatz.
„So würde Pfeiffer gerne wissen, aus welcher Entfernung die tödlichen Schüsse fielen. Wie viele Schüsse waren es? Und: „Wie groß war das Angriffsobjekt?“, also die Hantel, offenbar eine Kurzhantel. Und: „Hatte das Pfefferspray das Auge erreicht?“ Wie soll jemand mit einer Hantel in der Hand dem Pfefferspray mehrerer Beamter widerstehen und dann noch angreifen? Gewöhnlich macht Pfefferspray vorübergehend nahezu blind. Außerdem sind Polizisten angehalten, wenn schon, dann auf die Beine zu zielen, um einen Angreifer zu stoppen, sofern sie nicht mit einem Messer oder einer Schusswaffe attackiert werden.“
– Tod eines Asylbewerbers wirft Fragen auf, in: Süddeutsche Zeitung vom 24. August 2019
Medienberichte
Stade: Zahl der Schüsse aus Dienstwaffe unklar, in: NDR vom 19. August 2019
Erschossener Flüchtling: Notwehr oder Totschlag?, in: Hallo Niedersachsen (NDR) vom 19. August 2019
Polizist erschießt Geflüchteten, in: taz vom 19. August 2019
Tödliche Schüsse in Stade, in: Cuxhavener Nachrichten vom 19. August 2019
Polizei erschießt 19-jährigen Flüchtling, in: Neues Deutschland vom 20. August 2019
Tod eines Asylbewerbers wirft Fragen auf, in: Süddeutsche Zeitung vom 24. August 2019
Pressemitteilung
Nachhaltige Störung der Rheinmetall-Aktionärsversammlung
Kriegsgegner kündigen weitere ungehorsame Aktionen gegen Rheinmetall-Bombenfabrik in Unterlüß/Niedersachsen an
Etwa 50 Kriegsgegner des Bündnisses „Rheinmetall Entwaffnen“ haben heute die Hauptversammlung des größten deutschen Rüstungskonzerns massiv gestört. Sie stürmten das Podium der Versammlung im Berliner Maritim-Hotel, als der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende Armin Papperger zu sprechen begann.
„Wir haben das Wort ergriffen, weil wir die Kriegsverbrechen nicht mehr ertragen können, an denen der Rheinmetall-Konzern beteiligt ist“, erklärt Carola Palm vom Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“. Auf mitgeführten Transparenten forderten die Friedensaktivisten „Rüstungsexporte stoppen“ und Solidarität mit Rojava. Die Hauptversammlung musste wegen der lautstarken Proteste für eine dreiviertel Stunde unterbrochen werden. Diese massive Störung stellt ein Novum dar. Eine Sitzblockade auf dem Podium führte dazu, dass Vorstandsvorsitzender Armin Papperger das Rednerpult verlassen musste. Anschließend räumte die Polizei die Blockade mit Gewalt und nahm mehrere Kriegsgegner in Gewahrsam.
Die Rüstungsexportgegner werfen dem Unternehmen Beihilfe zu Mord und Bruch mit dem Völkerrecht vor. Die Rheinmetall-Tochterfirma RWM Italia liefert Bomben für den Krieg der saudischen Allianz, der auch gegen die Zivilbevölkerung im Jemen geführt wird. Die Türkei überfällt das demokratische Projekt Rojava in Nordsyrien mit deutschen Panzern und Technik von Rheinmetall. „Es reicht! Der Konzernvorstand muss zur Verantwortung gezogen werden, weil er mit dem Bau von Waffen und Munition Massenmord und eine Entdemokratisierung im Nahen Osten in Kauf nimmt“, so Carola Palm.
Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens zeigten sich in den vergangenen Jahren emotionslos, wenn Betroffene aus Jemen auf der Hauptversammlung über Familienangehörige sprachen, die durch Rheinmetall-Lenkbomben ums Leben kamen. Weil bisherige Proteste an Vorstand und Aktionären abgeprallt sind, hat das Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ sich zu dieser Aktion des Zivilen Ungehorsams entschieden: „Das war erst der Anfang. Rheinmetall kommt nicht mehr zur Ruhe, solange sie ihr schmutziges Geschäft mit dem Tod betreiben. Im September blockieren wir eine Rheinmetall-Fabrik am Standort Unterlüß bei Celle“, kündigt Carola Palm an. Das Bündnis Rheinmetall Entwaffnen lädt in der ersten Septemberwoche zu Aktionstagen in das niedersächsische Dorf ein.
Während der Störungen fand zeitgleich vor dem Hotel eine Demonstration unter dem Motto „Für das Leben! Gegen Rheinmetall!“ statt, an der sich 200 Menschen beteiligten.
Rheinmetall Entwaffen
Pressekontakt: Tobias Maath, 0157-5071 2809
Web: https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org
Twitter: @REntwaffnen
Kriminalisierung von Solidarität
Kriminalisierung betr Unterstützung der PKK
Ermittlungen G 20 ist keine Lizenz zum Rechtsbruch
G20 in Hamburg 2017
© alle Fotos: Karl-Heinz Zulkowski-Stüben
G20 in Hamburg 2017
Das Amt verändert die Menschen
Neben dieser unseligen, um nicht zu schreiben unprofessionellen Geschichte des Umgangs mit dem Versammlungsrecht wäre es eine eigene Untersuchung wert, ob die Amtsperiode von Ronald Schill in der Polizei personelle Spuren hinterlassen hat. Und quasi als P. S.: Öfters sind die Grünen in Hamburg in einer Regierungskoalition, ohne dass im Mindesten bemerkt werden könnte, dass sie auf eine andere Linie im Umgang mit Demonstranten Einfluss nehmen würden.
Simon Teune zu Schwarzer Block
G 20 # Prantl # 9.7.2017
G20 Stellungnahme Geschäftsleute aus dem Schanzenviertel
BuzzFeed News zu Polizeiverletzte
Humanität auf der Anklagebank
Skandalöses Urteil eines Berliner Gerichts gegen “Demosanitäter” !
Das Urteil erging gegen einen Demosanitäter in Berlin wegen Gefangenenbefreiung, Widerstand, Vermummung und Schutzbewaffnung (siehe auch Bericht des ND vom 14.12.2017 im Anhang) . Teile der richterlichen Begründung lassen einem die Haare zu Berge stehen.
Nach Ansicht der Richterin habe die Schutzkleidung des Sanitäters (Schutzhelm und Atemmaske) gegen das Vermummungsverbot verstoßen und sei als passive Bewaffnung zu ahnden. Und: die Teilnahme von Sanitätern an Demonstrationen fördere „natürlich auch die Gewaltbereitschaft von Demonstranten“.
Absurder geht es nicht. Denn die vom Gericht monierte Schutzkleidung ist von der zuständigen Berufsgenossenschaft für Sanitäter letztlich vorgeschrieben. Sie dient dem Eigenschutz und auch dem Wohl von Patienten und ist somit das glatte Gegenteil von „Bewaffnung“.
Demo-Sanitäter sind Freiwillige mit einer medizinischen Ausbildung, die vollkommen unentgeltlich und vor allem unmittelbar nah am Geschehen und in Konflikt- und Belastungssituationen, wo andere Dienste wegbleiben, eine direkte medizinische Erstversorgung leisten. Diese Hilfe ist oft bitter notwendig für a l l e Beteiligten aber auch unbeteiligte Bürger, die in Konfliktsituationen hinein geraten. Allen Versuchen, dieses humanistische Handeln als „Gewalt fördernd“ zu kriminalisieren, muss energisch widersprochen werden.
Demo-Sanitätern gebührt der volle Respekt von uns allen und insbesondere auch von uns Gewerkschaftern, da sie in selbstloser Weise direkte Hilfe leisten und dazu beitragen, dass wir unsere Grundrechte auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit unversehrt wahrnehmen können.
Mit Repressalien gegen Sanitäter verliert ein Staat seine letzte Glaubwürdigkeit, für die Unversehrtheit und Sicherheit seiner Bürger und die unbeschädigte Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte sorgen zu wollen.
Hier wird der Gewaltbegriff auf den Kopf gestellt. Humanitäres Handeln kommt auf die Anklagebank, während gleichzeitig Polizisten Pfefferspray – ein international und in Kriegen geächtetes Giftgas – unbeschadet und wahllos gegen seine Bürger einsetzen können.
Es ist Revision eingelegt. „Staat“ kann sich in der nächsten Instanz von einer „menschenwürdigeren Seite“ zeigen. Wir bleiben am Ball.
© alle Fotos: Karl-Heinz Zulkowski-Stüben
Rostock am 02.06.2007 Protest gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm
AK Asyl ausgeschlossen
Nur zahme Flüchtlingshilfe erwünscht
Der Arbeitskreis Asyl engagiert sich in Cuxhaven seit 30 Jahren für Flüchtlinge. In eine Liste des Landkreises für Ehrenamtliche will er sich nun einklagen.
http://www.taz.de/AK-Asyl-ausgeschlossen/!5301388/
90.000 Menschen kamen zum Protest gegen TTIP
am 23.06.2016 nach Hannover
© alle Fotos: Karl-Heinz Zulkowski-Stüben
Georg Christoph Lichtenberg
Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein
Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.
Der Widerspenstigen Zähmung
Eine Geschichte aus dem Cuxland
von Karl-Heinz Zulkowski-Stüben
Es war einmal ein kleines Fürstentum, ganz im Norden des großen Landes Niedersachsen. Die Menschen, die dort lebten, nannten es Cuxland.
Der Fürst des Cuxlandes hieß Landrat und seine drei Stellvertreter hießen Kreisrat. Der jünste Kreisrat sollte das Geld verwalten und sich gleichzeitig um die Armen im kleinen Reich kümmern. Es war Anfang des Jahres 2015 und bekanntlich wurde die Zahl der Armen immer größer. Viele Arme aus vielen Ländern der ganzen Welt waren ins Cuxland eingewandert und benötigten ein Dach über dem Kopf und etwas zum Essen. Diese Armen nannte man Flüchtlinge oder Asylbewerber.
Da die Zeiten aber immer komplizierter und seine Aufgaben immer größer wurden, verlor der Kreisrat bald den Überblick. Diese Situation nutzten einige seiner Untertanen in der Verwaltung und wollten selbst „kleine Fürsten“ sein. Sie übten Druck auf die neuen Einwanderer aus, wo immer sie konnten. Sie besaßen Zweitschlüssel und gingen heimlich in die Wohnungen der Flüchtlinge und sie kürzten manchem Asylbewerber, der nicht sogleich spurte, die Essensrationen (Geld). Weil einige der neuen Einwanderer sich nicht unterkriegen lassen wollten, protestierten sie in der Verwaltung, aber sie hatten keine Chance. Die Beamten und ihre Mitarbeiter in der Sozialbehörde standen zusammen wie ein Mann, der Korpsgeist war über sie gekommen.
Aber sie hatten nicht damit gerechnet, dass einer kleinen Gruppe von Einheimischen das Treiben in der Behörde nicht verborgen blieb. Diese kleine Gruppe nannte sich Arbeitskreis Asyl Cuxhaven e.V. und wohnte seit 30 Jahren in Cuxhaven, der Hauptstadt des Cuxlandes. Mehrmals versuchte sie, die „kleinen Fürsten“ von der Unrechtmäßigkeit ihres Tuns abzuhalten, aber auch ihr gelang es nicht. Die „kleinen Fürsten“ waren sich zu selbstsicher geworden.
Da fiel den Einheimischen eine bewährte List ein. Sie besuchten den großen NDR in der Landeshauptstadt Hannover. Der NDR Das Beste am Norden schickte ein Team in die Hauptstadt des Cuxlandes und einige Tage später konnten es alle Menschen im Cuxland und sogar in ganz Niedersachsen sehen. „Missachtet Amt die Privatspäre von Flüchtlingen?“ fragte Hallo Niedersachsen. Es herrschte großer Aufruhr, die Cuxhavener Nachrichten, die Niederelbezeitung und sogar die TAZ aus dem fernen Hamburg zogen nach und berichteten von weiteren Missetaten.
Nur der Fürst des Cuxlandes und sein jüngster Kreisrat konnten sich nicht damit abfinden und verteidigten die „kleinen Fürsten“ nach allen Regeln der Kunst. Sie sprachen von Missverständnissen, Aussagen gegen Aussagen und verdrehten sogar das Gesetz, indem sie die „Unverletzlichkeit der Wohnung für Asylbewerber“ leugneten.
Die Wahrheit war nicht so wichtig, deshalb sprachen sie auch niemals mit den Flüchtlingen selbst.
Die Einheimischen aber ließen nicht locker und deckten noch weitere „Ungereimtheiten“ auf.
Der jüngste Kreisrat aber verstand die Welt nicht mehr. Hatte er nicht immer die Willkommenskultur hochgehalten. War er nicht von Dorf zu Dorf getingelt und hatte sein Credo verkündet „Ich will alle Flüchtlinge zu Bürgern machen“. Und nun dies. Er sah sein Lebenswerk zunichte gemacht.
Von nun an wurden nicht mehr die Flüchtlinge bestraft, sondern die Einheimischen. Es war wie im Mittelalter – Die Überbringer der schlechten Nachricht wurden nicht geköpft aber ab jetzt wie Aussätzige behandelt. Ihre Anfragen an die Verwaltung wurden nicht mehr beantwortet, zu Veranstaltungen zum Thema Flüchtlinge und Asyl wurden sie nicht mehr eingeladen und die Internetseite des Landkreises versuchte gar sie totzuschweigen.
Und weil die Einheimischen ihre Ausgrenzung und den Liebesentzug weder verstehen konnten noch akzeptieren wollten schrieben sie persönlich an den Landrat und die anderen Kreisräte. Sie baten um Vermittlung zwischen dem jüngsten Kreisrat und dem Arbeitskreis Asyl.
Und weil Tote bekanntlich länger leben, warten sie seit über einem halben Jahr auf eine Antwort.
Die Moral von der Geschicht: „Ein Mann, der die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd“ wußte schon Konfuzius. Deshalb liegt das Cuxland auch im berühmten Pferdeland Niedersachsen.
Und wer einige Geschichten nachlesen möchte, wird hier fündig: incuxhaven.de unter der Rubrik Presse.
PS: Die gute Nachricht: ein Teil der „kleinen Fürsten“ in der Sozialbehörde wurde ausgewechselt oder ist jetzt im „Ruhestand“. Die neuen Mitarbeiter machen bis jetzt einen guten Job und sie behandeln die Einheimischen wie gleichberechtigte Bürger. Vielleicht kann der jüngste Kreisrat von ihnen lernen.
„Meine Bitte: Keine einfachen Ausreden. Keine unbewusste Klassenselektion bei den Flüchtlingen. Auch in Richtung Armut in Deutschland gucken. Flüchtlinge nicht gegen Arme ausspielen und umgekehrt.“
Ausreden
von Ingrid Strobl
Paul ist kein Nazi und wird wohl auch keiner. Er hat mitbekommen, wie Nazis einen anderen Wohnungslosen halb totgeschlagen haben. Aber er lebt jetzt mit dem vermeintlichen „Wissen“: Für die Flüchtlinge reißen sie sich den Arsch auf. Und unsereiner zahlt drauf. Wie immer.
Nächstes Mal, wenn ich ihn treffe werde ich ihm sagen: Die Stadt Köln hat den sozialen Wohnungsbau auf fast Null heruntergefahren. Und einen Großteil der kommunalen Wohnungen verkauft. An Private, die nur an ihrem Profit interessiert sind. Es gibt kaum noch erschwingliche Wohnungen in dieser Stadt. Du würdest auch ohne Flüchtlinge nur schwer eine Wohnung finden.
Die Armen in Deutschland werden zunehmend ignoriert. Ihre Zahl wird statistisch kleingeredet. Aber zweieinhalb Millionen Kinder wachsen hier in Armut auf. Ist das wenig? Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen, Kinderärztinnen und –Ärzte wissen, wie diese Kinder – und ihre Eltern – leben. Unter welchen Bedingungen. Wie sich das auf sie auswirkt. Ein Gutteil der Mittel- und Oberschicht aber begegnet armen Menschen höchstens im Fernsehen. Und ich nehme an, so manchen und manche von ihnen zieht das Mitgefühl eher zu dem sympathischen syrischen Arzt hin, zu dessen Frau, die Lehrerin ist und der wohlerzogene Tochter. Und weniger zu der müden, auch mal ruppigen Alleinerziehenden, die mit drei Minijobs versucht, sich und die Kinder durchzubringen, und sich Sorgen macht, weil ihr Sohn neuerdings mit Jungs rumhängt, die ihr gar nicht gefallen.
Es gibt auch im aktuellen Engagement für Flüchtlinge Gefühle und Verhaltensweisen, die in der Klassenzugehörigkeit gründen und sich nach ihr richten. Sowohl in Bezug auf die, die hierher flüchten, als auch auf die, die hier heimisch sind. Eine Frau aus dem Kosovo, die arm aussieht, arm ist, schon immer arm war und kein Wort Englisch oder Deutsch spricht, löst selten eine Woge der Hilfsbereitschaft aus (wobei es durchaus Leute gibt, die grade auch Menschen wie ihr beistehen). Dasselbe gilt für eine deutsche Hartz-IV-Empfängerin und einen türkischstämmigen Jungen ohne Schulabschluss.
Wenn in Bezug auf „unsere“ Armen überhaupt Sorge aufkommt, dann die, arme Deutsche könnten sich von den Nazis verführen und gegen Flüchtlinge aufhetzen lassen. Was durchaus vorkommt. Aber vielleicht (zumindest im Westen) nicht ganz so oft, wie manche/r fantasiert. Dabei wäre es so schön: Schuld am Erstarken der Nazis wären dann nicht die Damen und Herren, die daran ein Interesse haben und diese Herrschaften unterstützen. Schuld wären nicht Politiker, die täglich die Katastrophe herbeireden und damit dunkelste Ressentiments schüren und stärken. Schuld wären auch nicht hunderte Jahre Kolonialismus, Postkolonialismus, Ausbeutung der Dritten Welt, Kameradie mit ölfördernden Diktatoren, etc., also all das, was dazu geführt hat, dass heute Millionen Menschen aus dem Mittleren Osten und Afrika aus ihrer Heimat flüchten müssen. Nein, Schuld wären die Armen in Deutschland, die den Nazis auf den Leim gehen.
Meine Bitte: Keine einfachen Ausreden. Keine unbewusste Klassenselektion bei den Flüchtlingen. Auch in Richtung Armut in Deutschland gucken. Flüchtlinge nicht gegen Arme ausspielen und umgekehrt.
https://ingridstrobl.wordpress.com/tag/fluechtlinge/
Flüchtlingseuphorie
von Ingrid Strobl
“Das ist eine hochgekochte Euphorie”, höre ich. “Wo waren die alle denn vorher?”
Ich stelle mir vor: Ich bin vor dem Krieg und Terror in meinem Land geflohen. Bin zu Fuß durch halb Europa gelaufen, vor Hitze und Durst fast verrückt geworden, Polizisten haben sich auf mich gestürzt, mich in ein Lager verschleppt, bedroht. Dann komme ich auf einem Bahnhof in Deutschland an. Da stehen Menschen, die applaudieren mir und den anderen, als wir aus dem Zug steigen. Die halten Schilder hoch: “Refugees wellcome!”
Ich bin mir sicher: Ich würde mich darüber sehr, sehr freuen.
Ein Freund, alter Linker, spottet: “Das ist jetzt wieder WM-Stimmung. Klasse. Die Gutbürger toben sich an den Flüchtlingen aus.”
Tun sie das? Haben wir ein Recht zu spotten? Macht es Sinn zu spotten? Eine Freundin, die seit zig Jahren Flüchtlingsarbeit macht, ist froh über die aktuelle Hilfsbereitschaft und gleichzeitig ein wenig skeptisch: “Ich hoffe, das hält an”, sagt sie
Ich bin da auch ein wenig skeptisch. Und besorgt: Wie lange kann man Euphorie aufrechterhalten? Was passiert, wenn ein Flüchtling eine Frau vergewaltigt? Wenn sich ein vermeintlicher Flüchtling als IS-Aktivist entpuppt? Schlägt die Stimmung dann um?
Ich bin nicht naiv. Ich bin aber auch keine, die ums Verrecken will, dass “die Deutschen” sich Nazi-mäßig verhalten, damit ich weiter meine Selbstgerechtigkeit nähren kann. Ich freue mich, wenn so viele Menschen hier helfen wollen und den Ankommenden signalisieren: Ihr seid willkommen!
Ich bin auch realistisch. Die Euphorie wird verfliegen. Enttäuschungen werden nicht ausbleiben. Die Rechten werden versuchen, jedes Fehlverhalten eines Flüchtlings für ihre Hetze zu benutzen.
Aber: Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen, die jetzt an Bahnhöfen und vor Flüchtlingsunterkünften Hilfe anbieten, eine Erfahrung machen, die nachwirkt: Sie sehen keine Zahlen, keine “Überschwemmung”, keine sonst was. Sie sehen Menschen. Die sich über ihre Zuwendung freuen. Die ihnen danken. Und ich denke, das ist ein guter Boden, um weiterzumachen. Und ein Schutzschild gegen Manipulation. Gegen den dummen, egomanen, rassistischen Unfug, den nicht nur deklarierte Nazis erzählen sondern auch “ganz normale” europäische Politiker.